Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit Ali Chaukair

 

Muslim-Markt interviewt
Ali Chaukair, Rechtsanwalt
13.4.2018

Ali Chaukair ist 1986 im Libanon geboren. Seine Eltern wanderten im Jahr 1988 mit ihm in Deutschland ein. Nach seinem Abitur in Uelzen studierte er in Marburg und Tours (Frankreich) Rechtswissenschaften. Im Jahr 2011 absolvierte er das 1. Staatsexamen. Es folgten das Referendariat am Oberlandesgericht Oldenburg und das 2. Staatsexamen im Jahr 2013. Nach seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei der Rechtsanwaltskammer Oldenburg arbeitete er von 2014 bis 2016 in einer Bürogemeinschaft. Seit 2016 ist er als Einzelanwalt tätig. Rechtsanwalt Chaukair spricht Arabisch, Englisch und Französisch, wodurch ihm der Zugang zu Migranten erleichtert wird. In seiner Freizeit treibt er gerne Sport, und äußert sich zu religiösen, politischen und gesellschaftlichen Themen auf der Plattform muslimischer Publizisten Offenkundiges.

Ali Chaukair ist verheiratet, hat ein Kind und lebt im Großraum Oldenburg.

MM: Sehr geehrter Herr Chaukair, die aktuelle Berichterstattung über ein mögliches Kopftuchverbot bei Mädchen unter 14 Jahren macht es notwendig, mit einigen juristischen Fragen zu beginnen. Dürfen Eltern nach aktueller Rechtslage ihren Kinder bezüglich dem Anziehen bestimmter Kleidungsstücke selbst eine Orientierung bieten oder hat der Staat diesbezüglich mehr Rechte als die Eltern?

Chaukair: Das Grundgesetz gewährt den Eltern sowohl über die Religions- und Glaubensfreiheit als auch über die Freiheit zur Erziehung der eigenen Kinder das Recht, ihre Kinder religiös nach ihren persönlichen Ansichten und ihrer Weltanschauung zu erziehen. Hierzu gehört auch, dass die Eltern das Recht haben ihre Kinder zum Anziehen bestimmter Kleidungsstücke zu erziehen, sei es bei muslimischen Mädchen ab einem bestimmten Alter das Kopftuch, bei jüdischen Kindern die Kippa oder bei Christen vielleicht eine bestimmte Art von Röcken, wie es bei einigen christlichen Glaubensgemeinschaften der Fall ist.

MM: ...Und wie ist es mit der Orientierung?

Chaukair: Eltern haben nicht nur das Recht Orientierung zu bieten, sie haben als Erzieher sogar das Recht aktiv darauf hinzuwirken. Zwingen dürfen sie natürlich nicht, das ist klar, auch muslimische Eltern dürfen ihre Kinder nicht zum Einhalten religiöser Gebote zwingen. Der Staat darf nur auf Basis von Gesetzen in Fällen, in denen das Wohl der Kinder gefährdet sein könnte, in die Erziehung der Eltern intervenieren und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen treffen. Eine solche Beschränkung ist auch im Grundgesetz vorgesehen und den allgemeinen Gesetzen ausführlich umgesetzt.

MM: Von den Medien bevorzugte sogenannte Islamexperten behaupten in der Öffentlichkeit, dass das Kopftuch bei Kindern im Islam angeblich keine Grundlage habe. Ist das relevant für ein Berufen auf das Grundrecht von Religions- und Glaubensfreiheit?

Chaukair: Grundsätzlich ist es rechtlich so, dass die Verfolgung von religiösen Geboten plausibel und nachvollziehbar sein muss. Es reicht nicht, dass man schlicht und möglicherweise nach dem eigenen Gutdünken behauptet, eine bestimmte Handlung oder ein bestimmtes Kleidungsstück ist Teil der Ausübung der Religion. Im Falle des Kopftuches verhält es sich so, dass unter islamischen Theologen, darunter fallen nicht sog. Islam-Experten, Einigkeit oder zumindest ein sehr breiter Konsens darüber besteht, dass das Tragen des Kopftuchs bzw. des Hidschabs, welcher nicht nur die Bedeckung der Haare betrifft, ab einem bestimmten Alter eine religiöse Pflicht darstellt.

MM: Und wann beginnt die religiöse Reife im Islam?

Chaukair: Bei manchen wird die Alterstufe auf 8 Jahre und 9 Monate (9 Mondjahre) gesetzt, bei anderen noch früher, bei weiteren wiederum etwas später oder auch wenige Jahre später bzw. mit dem tatsächlichen Beginn der Pubertät. Diese Pflicht geht einher mit dem Eintritt in die religiöse Reife, wenn man so will dem Eintritt in die sog. Religionsmündigkeit. Die gegenteilige Behauptung mag auf die eine oder andere Art wissenschaftlich begründbar sein, sie ist aber für die Ausübung der vorbenannten Grundrechte letztlich nicht von Relevanz. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Kinder ja nicht von einem Tag auf den anderen anfangen zu beten, zu fasten usw. sondern sie werden schon lange vorher gewissenhaft herangeführt, wie auch bei der Kopfbedeckung.

MM: Der Verbotswunsch wurde ja nicht nur von einem Bundesland ins Spiel gebracht, sondern wird auch von dem Vorsitzenden der so genannten Freien Demokraten unterstützt. Wie wollen sie das juristisch begründen?

Chaukair: Es stehen auf der einen Seite Eltern und Kinder mit ihren Grundrechten: Glaubens- und Religionsfreiheit, Freiheit der elterlichen Erziehung, allgemeines Persönlichkeitsrecht der Kinder, und wohl auch die Unantastbarkeit ihrer menschlichen Würde. Auf der anderen Seite steht der verfassungsgemäße Auftrag an den Staat das Bildungswesen zu beaufsichtigen und somit zu regeln, und vor allem die gesetzlich geltende Schulpflicht. Insbesondere die Schulpflicht würde zu einem faktischen Zwang zum Abnehmen des Kopftuchs führen. Selbst vor dem Hintergrund, dass Grundrechte einschränkbar sind und z.B. die Grundrechte auf Glaubens- und Religionsfreiheit als auch die Freiheit der elterlichen Erziehung bei Muslimen bereits eingeschränkt wurden, wie z.B. im Falle des sogenannten koedukativen Sport- und/oder Schwimmunterrichts, dürfte ein solches Kopftuchverbot, und der damit verbundene Zwang dieses in der Schule abzunehmen, in eklatanter Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mädchen verletzen. Anders als bei den bisherigen Einschränkungen, würden muslimische Mädchen gezwungen etwas preiszugeben, was sie als ihre Privat- oder sogar Intimsphäre betrachten. Das ist eine völlig neue Dimension. Hier sehe ich sogar die Würde der betroffenen Mädchen angetastet. Halten diese Mädchen sich nicht an ein solches Verbot, müssen sie und ihre Eltern sehr wahrscheinlich schwere rechtliche Konsequenzen in Kauf nehmen, oder nach alternativen Bildungseinrichtungen im In- oder Ausland suchen, zusätzlich zu dem enormen medialen Druck, der bereits jetzt auf diesen lastet. Wenn wir nochmal das Beispiel des Schwimmunterrichts heranziehen - hier wurden sie immerhin nicht gezwungen im gewöhnlichen Badeanzug teilzunehmen.

MM: ... wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Chaukair: Die bisher ins Feld geführten Argumente bzw. Positionen lassen nicht erkennen, dass ein solches Verbot in verfassungsgemäßer Form eingeführt werden kann. Die neue Staatsministerin für Integration, Frau Widmann-Mauz, als auch die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Frau Lüders, haben diese und ähnliche Bedenken ebenfalls und zurecht geäußert. Bereits beim Kopftuchverbot für Lehrerinnen hatte man erhebliche Schwierigkeiten ein solches auf Grundlage des Grundgesetzes einzuführen. Vorliegend ist auch der genannte Zweck, die Integration zu fördern, Ausgrenzung zu vermeiden, ein ganz anderer, und der bzw. die Gesetzgeber müssen sich ohnehin erstmal fragen, ob ein solches Gesetz überhaupt geeignet ist diesen Zweck zu erreichen, ob sie diesen Zweck mit einem anderen milderen Mittel erreichen können, und ob in einer Gesamtschau der widerstreitenden Interessen ein solches Verbot für die Betroffenen zumutbar wäre. Da müssen sehr viele Abwägungen stattfinden. Wenn FDP-Chef Lindner davon spricht, dass ein solches Verbot verhältnismäßig wäre, dann nimmt er das Ergebnis ohne jegliche plausible Begründung bereits vorweg. Aus meiner Sicht ist aber eine langwierige juristische Debatte vorprogrammiert.

MM: Nehmen wir an, ein Bundesland wollte solch ein Kopftuchverbot erlassen, wie wäre der Gang der Dinge bis das Gesetz wirksam ist?

Chaukair: In der Regel ist es so, dass ein Gesetzesvorschlag in ein Parlament eingebracht wird, meist von der jeweiligen Landesregierung. Dieser wird dann dort diskutiert und schließlich zur Abstimmung freigegeben. Findet er die nötige Mehrheit, gilt das Gesetz als beschlossen und wird dann umgesetzt.

MM: Im Zusammenhang mit dem angedachten Gesetzvorhaben ist immer wieder die Rede von 14 Jahren als Religionsmündigkeit. Hingegen hat ein Kind bereits auch davor einige Rechte. Wie ist die Gesetzeslage?

Chaukair: Ja, die Religionsmündigkeit wird zwar mit dem Alter von 14 Jahren erreicht, allerdings wird die Freiheit des religiösen Bekenntnisses bereits mit dem Alter von 12 Jahren erreicht. Und in strittigen Fällen, sollen Kinder sogar bereits im Alter von 10 Jahren von den Gerichten angehört werden. So sieht es das Gesetz zur religiösen Kindererziehung vor, ein etwas älteres Gesetz zwar, es hat aber Geltung. Auf dieser Grundlage ist das Verbot mit der Altersgrenze von 14 Jahren, statt 12 oder sogar 10 Jahren, bereits gesetzeswidrig, ganz unabhängig von seiner, aus meiner Sicht, offensichtlichen Verfassungswidrigkeit.

MM: Für Juden ist z.B. das Tragen einer Kippa religionsrechtliche Pflicht. Wäre es in Deutschland denkbar, dass zwar ein Kopftuch verboten wird, nicht aber die Kippa?

Chaukair: Denkbar ist es. Es dürfte aber aufgrund des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes keinerlei Bestand haben. Eine Abweichung vom Gleichheitsgrundsatz stellt zunächst eine Ungleichbehandlung, in Normaldeutsch Diskriminierung, dar, die nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes als verfassungsgemäß durchgehen kann. Auch hier kann das Beispiel des Kopftuchverbotes bei Lehrerinnen angeführt werden: Dieses wurde nach längeren gerichtlichen Auseinandersetzungen nicht mehr allein als Kopftuchverbot formuliert, sondern ist in ein allgemeines Verbot des Tragens bzw. Zeigens religiöser Symbole und Kleidungsstücke geändert worden. Die aktuellen Pläne müssen auch vor diesem Hintergrund sehr ausführlich juristisch geprüft werden. Allerdings ist ein plausibler Grund, weshalb man bei jungen Schülern andere religiöse Symbole und Kleidungsstücke von einem möglichen "Kopftuchverbot" ausnehmen sollte, für mich nicht ersichtlich. So etwas würde im Übrigen die These vieler Muslime bestärken, es finde ein gezielter Kampf gegen den Islam statt.

MM: Kommen wir abschließend zu Ihrer Rechtspraxis, die zumindest bisher wohl eher weniger mit dem Kopftuch zu tun hatte. Was sind die juristischen Hauptprobleme, die Migranten in Deutschland haben?

Chaukair: Menschen mit Migrationshintergrund haben wie alle anderen auch Probleme mit ihren Vermietern, mit Vertragspartnern, beim Kauf, Verkauf , sie haben auch Verkehrsunfälle usw. In meiner Kanzlei kommen viele Fälle im Aufenthalts - und Asylrecht hinzu. Traurig sind leider familienrechtliche Streitigkeiten, seien es Scheidungen oder Konflikte wegen der Kinder. Hier vertrete ich zumeist die Interessen der Väter. Auffällig ist hierbei leider, wenn ich es auch statistisch nicht nachweisen kann, die hohe Zahl von Ehe- und Familienstreitigkeiten von syrischen Flüchtlingen. Dies wird mir auch von Syrern selbst bestätigt, die in der syrischen Community tief verwurzelt sind.

MM: Herr Chaukair, wir danken für das Interview.

Links zum Thema

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt