MM: Sehr geehrter Herr Mitschka, ab 1. Juni
übernehmen Sie die Verantwortung im Alitheia-Verlag. Sie wollen anders sein
als linke, rechte, populistische oder Mainstream-Verlage. Wie wollen Sie das
erreichen? Mitschka: Naja, im Moment,
so scheint mir auf den ersten Blick, überwiegen ganz erheblich die so
genannten "progressiven" Sichtweisen und Wahrheiten. Ein nicht
unwesentlicher Teil ist noch dazu von mir selbst. Ich habe nun begonnen,
Menschen anzusprechen, welche die eher konservative, ja auch
rechtskonservative, Sichtweise vertreten, und wünsche mir, dass auch diese
ihre Meinung zu den Themen, die im Verlag behandelt werden, eben dort
hinterlassen. Das Ziel ist, den Konsumenten beide Sichtweisen nebeneinander
zu präsentieren, und im Einzelfall vielleicht sogar eine Diskussion der
beiden Pole, damit sich der Leser selbst ein Bild und eine eigene Meinung
bilden kann. Bisher ist die Reaktion leider negativ, niemand möchte sich
darauf einlassen, so nah am eigenen Produkt hinterfragt zu werden.
MM: Wollen Sie hinterfragt werden?
Mitschka: Ich wünschte es mir, denn nur so
könnte ich meine Positionen überprüfen und gegebenenfalls verändern, falls
ich zu dem Schluss komme, etwas falsch gewichtet zu haben. Und natürlich
könnte ich so Leser auf Fehler in der Argumentation der anderen Seite
hinweisen, unbegründete Kritik widerlegen. Aber vielleicht war ich in der
Vergangenheit zu vernichtend in meinen Aussagen, zu wenig Verständnis
ausstrahlend, so dass man einem solchen "Extremisten" möglicherweise lieber
aus dem Wege geht.
MM: Sie scheinen in Ihren eigenen politischen
Positionen in der Weltpolitik sehr stark gegen den Strom zu schwimmen.
Unabhängig davon, ob der Blick auf die USA, den Iran, Palästina, Syrien oder
Afghanistan gerichtet ist vertreten Sie eine antiimperialistische Position.
Wie wandelt sich ein ehemaliger Unternehmensberater zu einem
Antiimperialisten, oder war das gar kein Wandel?
Mitschka: Ich glaube nicht, dass ich gegen
den Strom schwimme. Man muss zunächst definieren, was der Strom überhaupt
ist. Wenn Sie die mediale Berichterstattung in den NATO-Ländern meinen, da
gebe ich Ihnen Recht. Aber wenn man die gesamte Welt sieht, relativiert sich
das Bild. Nehmen Sie das Beispiel von Palästina. Kaum jemand in Deutschland
weiß, dass von den 193 UNO Mitgliedsstaaten 138 oder 72% bereits Palästina
als unabhängigen Staat anerkannt haben. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung
bedeutet dies, dass von der UNO anerkannte Vertreter von 80% der
Weltbevölkerung Palästina anerkannt haben. Wie kann man da noch von "Gegen
den Strom schwimmen" sprechen. Man könnte höchsten sagen: "Gegen die Macht
von Waffen und Finanzen schwimmend".
Und was die Wirtschaft angeht, weil Sie auf meine
frühere Tätigkeit ansprechen, auch da hat sich das Blatt gewandelt. Zwar
beherrscht der Dollar und die daran gebundenen Institutionen wie IMF und
Weltbank zum Beispiel, sowie die diversen Finanztransaktions-Organisationen,
die unter der Kontrolle der USA stehen, noch das Spiel. Aber das Ende ist
absehbar. Und von der Wirtschaftsleistung wurden diese westlichen Blöcke
bereits überholt. Wenn Sie die Shanghai Cooperation Organisation (SCO)
sehen, erkennen Sie, dass sich hier fast die Hälfte der Weltbevölkerung
zusammen geschlossen hat. Und mit BRICS und der Eurasian Economic Union
nähern sich Länder wirtschaftlich immer stärker, Länder, welche den
neo-kolonialen westlichen Fesseln entfliehen wollen, was natürlich mit allen
Mitteln von den USA bekämpft wird, aber wohl unaufhaltbar sein wird.
MM: ... und Ihr Wandel ...
Mitschka: Was meinen Wandel angeht … Nun die
Veränderung begann nach dem Kosovo-Krieg. Aber den endgültigen Schub erhielt
die Erkenntnis im Laufe meiner Zeit in Asien. Und den Mut unter meinem
eigenen Namen und laut und deutlich zu sagen, was passiert, den habe ich von
meinem Freund Tim Anderson abgeschaut, den ich durch die Übersetzung seines
Buches "Dirty War on Syria" kennen und schätzen gelernt habe. Aber
ich muss zugeben, dass ich bis einige Jahre vor meinem Ruhestand einerseits
unter Pseudonymen, andererseits in stark zurückhaltender Weise meine Meinung
geäußert habe. Eben, um meine wirtschaftliche Existenz nicht zu gefährden.
Im Nachhinein denke ich, dass es falsch war. Aber aus diesem Grund verstehe
ich auch die Menschen, die eingeschüchtert sind, und nicht wagen, gegen
bestimmte Grundsätze der Staatsräson zu argumentieren. Oder die sogar
versuchen gar nicht an solche "Sünden" zu denken.
MM: Es fällt auf, dass das Thema Palästina Ihre
besondere Aufmerksamkeit erhält. Was ist die Motivation über diesen
europäischen Kolonialismus zu schreiben?
Mitschka: Interessant, dass sie es
Kolonialismus nennen. Denn natürlich behaupten die Abgeordneten des
deutschen Bundestages, zum Beispiel in e-Mails an mich, dass dies natürlich
Antisemitismus wäre, von Kolonialismus zu reden. Aber ich sehe es auch als
eine Art Kolonialprojekt an, was in Palästina passiert. Und warum
beschäftigt es mich so? Ich gehöre zu der Generation, die noch mit ihren
Eltern über die Nazi-Zeit und den Holocaust gesprochen haben. Ich habe
verschiedentlich schon davon in Artikeln und PodCasts berichtet, und will
mich nicht zu sehr wiederholen. Nur so viel: Ich möchte nicht die Fehler
meiner Eltern wiederholen, und wegschauen, wenn Unrecht passiert, ja es
sogar noch unterstützen. Denn was unsere Regierung, unterstützt von der
großen Mehrheit der Bundestagsabgeordneten tut, ist, wegzuschauen, sich das
Geschichtsbild und die Geschehnisse schön zu reden, um einer Staatsräson zu
folgen. Und genau das hatte unter Hitler dazu geführt, dass am Ende jüdische
Menschen verfolgt und ermordet wurden, und das auf eine perverse, quasi
industrielle Weise.
Mein Großvater muss ein vollkommen verblendeter
Nazi gewesen sein. Meine Mutter hatte mir einmal erzählt, dass er einem
Aufruf Hitlers gefolgt war, und die in Generationen angesammelten Goldmünzen
für "den Endsieg" gespendet hatte. Dagegen waren meine Eltern die typischen
Mitläufer, die an das glauben wollten, was man ihnen erzählte, die
versuchten, einfach nicht anzuecken und zu überleben.
Aber am Anfang hätte man noch etwas verändern
können. Aber auch da hatten meine Eltern weggeschaut, sie wollten gar nicht
wissen was passierte. Vielleicht waren sie auch noch zu jung, und natürlich
gab es kein Internet. Aber sie hätten die Fakten erkennen müssen, taten es
aber bewusst nicht. So wie meine Eltern mir es einmal gestanden hatten.
Ich kann doch nicht schweigen, wenn ich sehe, dass
die gewählten Vertreter der Deutschen nun die Palästinenser auf dem Altar
ihres Schuldbewusstseins als Opfer darbringen, um von Israel, einem Staat,
der durch eine rassistische rechtsextreme Regierung das Land in Kriege und
Annexionen führt, die Absolution für Taten vorheriger Generationen zu
erhalten. Noch dazu, weil es doch genügend Gruppen jüdischer Menschen gibt,
welche schon lange bestreiten, dass der israelische Staat die moralische,
ethische oder religiöse Legitimität dazu hat. Noch lächerlicher wird dieser
Versuch der Regierenden, wenn man sieht, dass die gleichen Regierungen,
denen sie versuchen zu schmeicheln um Vergebung zu erhalten, mit schlimmen
neo-nationalsozialistischen Politikern harmonisch kooperieren, so lange
diese die Rechte der Palästinenser bestreiten. Deshalb sehe ich diese
Politik des bewussten Wegschauens, weniger als Erfolg des zweifelsohne
unglaublich effektiven israelischen Lobbyarbeit (dazu gibt es ja auch einen
interessanten Video-Bericht von Al-Jazeera), sondern als Vollzug der
Pflichten eines US-Vasallen, verbunden mit der Hoffnung, wirtschaftliche
Vorteile daraus zu gewinnen.
MM: Bereits Ende 2019 haben Sie ein Video
herausgebracht über "Zionistische
Rabbis und ihre Rassentheorie", das bisher noch nicht hinreichende
Aufmerksamkeit gefunden hat, was sich aber ändern könnte. Wie begegnen Sie
dem Totschlagargument des Antisemitismusvorwurfs auf solche Dokumentationen?
Mitschka: Das Video ist nicht originär von
mir, sondern von David Sheen. Und die erste Version wurde von YouTube
gelöscht, angeblich weil sie Hassrede enthielt, was stimmt, aber nicht als
Aussage, sondern es ging um eine Kritik derselben. Also ich bin hier nur der
Übersetzer. Aber auch David Sheen bringt in dem Video nur Dinge, die offen
von Fernsehsendern in hebräischer Sprache und englischer Sprache
veröffentlicht worden waren. Er erklärt dazu Hintergründe und die
Zusammenhänge. Aber was den Vorwurf des Antisemitismus angeht:
Er berührt mich nicht mehr. Zum einen, weil ich
jüdische Freunde habe, die meine Sicht auf den Zionismus teilen, und mir den
Rücken stärken. Und wenn Günter Grass und Jakob Augstein die höchsten Weihen
des Antisemitismus erhielten, wenn Menschenrechtler, weltbekannte Künstler
und Wissenschaftler, ja sogar die ganze UNO als antisemitisch bezeichnet
werden, wer soll dann solche Äußerungen noch ernst nehmen? Ja in Deutschland
hat das Folgen. Man kann keine öffentlichen Räume mehr anmieten, man erhält
berufliche und gesellschaftliche Nachteile, verliert vielleicht sogar seine
wirtschaftliche Existenzbasis, wird nicht zu Talk-Shows eingeladen, wird oft
nicht veröffentlicht, oft nicht einmal in so genannten progressiven
Internetseiten. Aber glücklicherweise bin ich aus dem Alter heraus, in dem
man auf Karriere und seinen Ruf achten musste, um die Hypothek abzahlen,
oder Geschäfte machen zu können. Aber ich finde es traurig, muss ich sagen,
dass der Begriff des Antisemitismus durch den Missbrauch zur Verleumdung
jedweder Kritik an der zionistischen Politik so verwässert wurde. Und ich
überlege seit geraumer Zeit, ob und mit welchem Begriff man denn die
wirklichen Hasser der jüdischen Religion und des Judentums an sich
bezeichnen soll. Aber mir ist leider noch nichts wirklich Durchschlagendes
eingefallen.
MM: Im Jahr 2017 wurde der § 80 StGB
„Vorbereitung eines Angriffskriegs“ annähernd unbeachtet gestrichen.
Neuerdings wird öffentlich über die sogenannte "nukleare Teilhabe" in einem
Land diskutiert, dessen Bevölkerung sich sogar zum Ausstieg aus der
friedlichen Nutzung der Atomenergie entschlossen hat. Entscheiden die
Volksvertreter nicht als Vertreter des Volkes?
Mitschka: Der §80 StGB war meiner Erinnerung
nach die einzige in Strafrecht umgesetzte Vorgabe des Grundgesetzes.
Ansonsten können die regierenden Politiker nach Herzenslust gegen die
Verfassung verstoßen, ohne dass sie Angst haben müssen, eines Tages
strafrechtlich dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Aber selbst dieser
eine kleine Paragraf war schon zu viel, deshalb wurde er zum 1.1.2017
gestrichen, und, angeblich wegen der Harmonisierung in der EU, durch eine
Regelung im Völkerstrafrecht ersetzt. Nur dass das Völkerstrafrecht weder
unsere Geschichte, aus der diese Regelung hervorging, noch den Geist oder
Text des Grundgesetzes kennt. Vielmehr ist das Völkerstrafrecht aus der
kolonialen Geschichte entstanden, und unter dem Eindruck von EU-Ländern wie
Großbritannien und Frankreich, die auch nach dem 2. Weltkrieg noch
Angriffskriege führten.
MM: Wie bewerten Sie das?
Mitschka: Natürlich ist das ein Skandal.
Aber es ist die logische Folge davon, dass die politischen Parteien längst
den deutschen Staat vollständig beherrschen. Denn obwohl es den §80 gab, hat
nie ein Generalstaatsanwalt Anklage erhoben, teilweise mit lächerlichen
Begründungen. Z.B. behauptete einer, dass im Grundgesetz nur von
Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht aber vom Führen desselben die Rede
wäre. Aber wie kann man erwarten, dass ein Staatsanwalt, der von den
Weisungen des Justizministers abhängt, gegen den eigenen Chef klagt? Und so
werden die politischen Parteien in Deutschland weiter die Forderungen des
Europarates von 2010 ignorieren, die Justiz unabhängiger zu machen.
Aber damit nicht genug. Um auch wirklich sicher zu
gehen, dass es niemals zu Problemen kommt, dürfen sich die Parteien auch
noch die Richter des höchsten Gerichtes im Konsens selbst aussuchen, die
noch dazu oft aus den eigenen Reihen stammen. Das ist so, als ob man einer
Gruppe von Verkehrsrowdys erlaubt, aus den eigenen Reihen selbst die Richter
für die nächsten Straf-Verfahren wegen Verkehrsdelikten zu bestimmen.
MM: ... und wie ist es mit der "nuklearen
Teilhabe" ...
Mitschka: Die so genannte "nukleare
Teilhabe" andererseits ist das typische Beispiel der Vasallengehorsamkeit
der deutschen Politiker. Obwohl der Bundestag bereits einmal in einem nicht
bindenden Beschluss die Regierung gebeten hatte, sich für den Abzug der
US-Kernwaffen einzusetzen, passierte das Gegenteil. Und deutsche Politiker
akzeptieren, dass Deutschland damit nicht nur gegen den
Atomwaffensperrvertrag verstößt, sondern außerdem das Land zur Zielscheibe
russischer und chinesischer Atomwaffen macht. Denn das Ziel der USA ist
natürlich, einen Atomkrieg auf Europa zu begrenzen. Deutschland fungiert
sozusagen als Opferanode des Imperiums, und deutsche Politiker stimmen zu.
Ob das noch Vertreter des Volkes sind? Nun sie
werden gewählt. Weil die Meinungsbildung der Wähler durch die Medien
erfolgt. Und die öffentlich-rechtlichen Medien werden durch eben diese
Parteien kontrolliert, und die so genannten Privaten Medien, die einigen
wenigen Familien und Konzernen gehören, haben viel zu viel transatlantische
Interessen, als dass sie sich gegen die US-Politik wenden würden. Deshalb
verstehen die meisten Deutschen nicht, was wirklich in Deutschland passiert.
MM: Welche Rolle können Religionen bei der
Befreiung der Menschen spielen? Wir sehen einerseits, dass die
Befreiungstheologie in Nicaragua (Stichwort Ernesto Cardenal) eine
maßgebliche Rolle beim Einsatz gegen den Imperialismus gespielt hat wie auch
die Islamische Revolution im Iran beim Einsatz gegen die USA und die von den
USA unterstützten IS-Terroristen. Auf der anderen Seite stehen die
westlichen Kirchen mehr oder weniger unkritisch an der Seite des westlichen
Imperialismus. Während die Christen im Libanon die Hisbollah unterstützen,
unterstützen die Christen im Westen den zionistischen Besatzer. Ist der
"Kampf der Zivilisationen" ein Kampf des Westens gegen den Rest der Welt und
nicht der Religionen?
Mitschka: Sie haben einige wichtige Punkte
angesprochen. Aber vielleicht wird sich der Leser fragen, wie es denn kommt,
dass die Religion diesen Einfluss auf die Politik ausübt. Dazu sollte man
auf die Ursprünge der Religion zurück gehen. Zu Beginn religiösen
Bewusstseins gab es fast überall ein Vielgöttersystem, mit dem die Menschen
versuchten, sich die Natur zu erklären. Dieser Glauben wurde aber verdrängt
durch den Monotheismus. Er war stärker und dominanter. Und er erlaubte den
Gemeinschaften, klareren Gesetzen zu folgen. Ein Beispiel ist der Sieg des
Monotheismus im Iran. Religionen waren entscheidend dafür, dass
Gemeinschaften intern stabil blieben und extern in der Lage waren, sich
gegen Angreifer durchzusetzen. Oder sogar selbst Eroberungskriege zu führen.
Welche Kraft Religionen auch in der Neuzeit noch
entwickeln können, sah man, wie Sie richtig bemerkten, 1979 an der
Revolution im Iran. Zwar war der Sieg ein Sieg der gesamten Gesellschaft, zu
der auch Kommunisten, Sozialisten und andere säkulare Bewegungen gehörten,
aber die Führung und das spirituelle Rückgrat war ohne Zweifel der Islam.
Und auf Grund des Bildungswesens und der Akzeptanz in der Bevölkerung,
spielt die Religion auch heute noch eine dominierende Rolle in der
Gesellschaft.
Im Westen diente das Christentum zur Aktivierung
der schrecklichen Kreuzzüge. Aber dann wurden die Religionen im Rahmen der
Aufklärung in ihrer Wirkung auf die Gesellschaft reduziert. An der Stelle
von religiösen Regeln, gaben sich die Menschen universale Rechte und
Pflichten. Wenn man aber genau hinschaut, ähneln diese sehr wohl religiösen
Grundsätzen, allerdings mit einem stärkeren Gewicht auf individuelle Rechte.
Während in Religionen, egal ob im Christentum oder dem Islam, noch die
Sicherung der Existenz der Gemeinschaft das oberste Ziel war, weshalb die
Rechte des Einzelnen dahinter verblassten, hob die Aufklärung die Rechte des
Einzelnen, das Schicksal des Einzelnen in den Vordergrund. War vor der
Aufklärung das Märtyrertum zum Vorteil der Gemeinschaft auch im Christentum
das heiligmachende Geschenk an die Gemeinschaft, so wurde diese Ansicht
durch die Aufklärung drastisch reduziert. Durch diese Entwicklung eignete
sich aber die Religion im Westen auch immer weniger als ideologische Stütze
für Kriege. An ihre Stelle traten dann politische Ideologien.
Sie sprachen die Hisbollah an. Ich denke, dass der
Iran und die Hisbollah begriffen haben, dass die Religion heute nicht mehr
der entscheidende Faktor im Freiheitskampf der Menschen sein kann. Wenn man
beobachtet, welche Aufmerksamkeit im Iran der Religionsfreiheit (so lange
sie nicht die Grundfesten des Staates gefährdet) zum Beispiel gegenüber der
jüdischen Religion, gewährt wird, erkennt man, dass die Führung des Landes
sehr wohl begriffen hat, dass religiöse Differenzen durch die alten
Machtstrukturen des Kolonialismus und die darauf basierenden Diktaturen,
genutzt werden, um einen permanenten Krieg zu schüren. Und dass dieses
Prinzip von "teile und herrsche" durchbrochen werden muss.
Und so erklärt sich auch, dass die Hisbollah bei
der Bekämpfung des IS keinen Unterschied zwischen Christen und Muslimen
machte, als sie die Grenzen des Libanon verteidigte, und in Syrien half,
den Terrorismus zu bekämpfen. Ich fand es sehr beeindruckend, wie Menschen
in christlichen Dörfern begeistert erklärten, dass die Hisbollah nicht nach
Religion gefragt hätte, sondern einfach geholfen hätte.
Ich denke, dass die Tatsache, dass die Hisbollah
begriffen hat, dass der Freiheitskampf eben kein Freiheitskampf des Islam
ist, sondern ein Freiheitskampf aller unterdrückter Menschen, sie so
gefährlich macht für jene, welche die Religion als Hebel für ihre "teile und
herrsche" Kriege nutzen. Was freilich im Libanon noch ein langer Weg sein
wird, weil die Machtstrukturen eben auf religiösen Unterschieden basieren,
und die dort Herrschenden natürlich ihre Macht erhalten wollen. Aber wenn
Sie nach Syrien, Palästina und in den Jemen schauen, erkennen Sie, dass der
Iran und die Hisbollah die Konfliktgründe auf Basis der religiösen
Unterschiede zum großen Teil reduziert haben. Christen, Drusen, Zaiditen,
Schiiten, Sunniten, kämpfen Seite an Seite für Selbstbestimmung und
Freiheit.
Ich will nicht sagen, dass sich damit eine Art von
"Aufklärung" Bahn bricht, aber es ist der Beginn, die Welt nicht mehr nach
Religionen zu unterscheiden, sondern nach unterdrückt und frei. In Venezuela
sind 92% der Menschen katholisch und 8% protestantisch. Trotzdem riskierte
der Iran einen Krieg mit der größten Kriegsmacht in der Geschichte der
Menschheit, den USA, um dem Land vier Tanker mit dringend benötigten
Materialien zu schicken. Der Widerstand hat die Grenzen der Religionen
endgültig gesprengt. Und das ist gut so. Hoffen wir, dass dieser Weg weiter
geführt werden kann, und auch im Irak, ja auch in Deutschland, sich die
Erkenntnis durchsetzt, dass in der heutigen Welt, in der es nicht mehr nur
um die unmittelbar betroffene begrenzte Region geht, in der man lebt, und
sich verteidigt, dass in dieser Welt die Religionen zwar spirituelle
Schlüssel für den Einsatz sein können, aber nicht die Zusammenarbeit mit
anderen Religionen oder "Ungläubigen" verhindern sollten, die auch für
Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen. Letztlich sind es die gleichen
Gegner. Egal ob der Kampf in Deutschland, im Libanon, in Syrien oder dem
Irak ausgefochten wird.
Das wird schwierig sein, denn ein großer Teil der
Kraft des religiösen Widerstandes wird aus dem Feindbild gezogen, das sich
aus der Religion und dem Unglauben ergibt. Es wird eine wichtige Aufgabe der
Führer des noch zum großen Teil religiös dominierten Widerstandes sein, das
Feindbild zu schärfen, es von den Fesseln des "teile und herrsche" zu
befreien, und auf die echten Feindbilder zu fokussieren.
MM: Bei allem Einsatz von allen
Friedensaktivisten, unabhängig davon ob religiös oder nicht, ist die
Wirkung, dass Deutschland dieses Jahr Rekordexporte an Rüstungsgütern zu
vermelden hat, darunter auch an Länder, die direkt in Kriege verwickelt
sind. Deutschland steht dabei immer an der Seite der Imperialisten, wie z.B.
im Krieg Saudi-Arabiens gegen Jemen, Israel gegen Palästina, IS gegen
Syrien, bei dem Versuch den Irak zu spalten und USA gegen Afghanistan und
Irak usw. Sind die Friedensaktivisten gescheitert und hat die
Zivilgesellschaft versagt?
Mitschka: Ich will nicht sagen, dass die
Friedensaktivisten gescheitert sind. Ich würde sagen, dass die Meinungsmacht
der Medien gesiegt hat. In einer Gesellschaft wie Deutschland, erfolgt die
Meinungsbildung über die Medien. In den letzten 25 Jahren ist dort eine
starke Veränderung zu beobachten. Ganz besonders nach Wegfall der
"Bedrohung" durch die Sowjetunion, nachdem es keinen "Wettbewerb der
Systeme" mehr gab, wurden die Medien immer mehr zu einem Sprachrohr des
Establishments. Waren es zum Beispiel in den 1968 Jahren in erster Linie
Springer-Zeitungen, die Hass gegen die aufmüpfigen Studenten schürten, und
so zum Tod von Ohnesorg und dem Anschlag auf Dutschke entscheidend
beitrugen, so sieht man heute die gesamte Medienlandschaft gegen Abweichler
auftreten. Die mediale Macht wird noch zusätzlich unterstützt durch die
Aktivitäten von Organisationen, die auf der Straße mit Gewalt agieren, wie
Antideutsche oder bestimmte Zweige der Antifa. Schlägertruppen, die mit der
Behauptung von "Linker" Ideologie, agieren wie neo-faschistische Banden, und
damit den Kampf gegen Faschismus in den Schmutz treten.
In diesem Umfeld eine Friedensbewegung zu
aktivieren ist äußerst schwer. Verunsichert durch die mediale einseitige
Verteufelung, verängstigt durch die Gewalt, eingeschüchtert durch die
polizeilichen Maßnahmen und gerade jetzt auch noch das "Killervirus", wurde
der Einsatz für Frieden und den Geist des Grundgesetzes marginalisiert.
Aber wieder gibt es eine neue Hoffnung. Wenn wir in
die Geschichte schauen, hat es immer wieder Entwicklungen gegeben, welche
den Freiheitskampf, und der Kampf für Frieden ist auch ein Freiheitskampf,
unterstützt haben. Da war der Buchdruck, der das Informationsmonopol der
Klöster brach, der zur Verbreitung von "subversiven" Gedanken beitrug. Dann
kam der Zeitungsdruck, als tausende von kleinen Zeitungen den Widerstand im
Land manifestierten. Und nachdem Buch und Zeitung im Laufe der Jahrzehnte
oder Jahrhunderte erfolgreich durch das Establishment übernommen wurden, kam
das Radio, und teilweise sogar das Fernsehen. Alle diese Medien wurden
natürlich im Laufe der Zeit vom Establishment übernommen. Wer die klügsten
Köpfe der Elite-Universitäten kaufen kann, und über unbeschränkte Geldmittel
verfügt, hat halt auf Dauer keinen wirklichen Gegner in einer
Informationsgesellschaft. Aber dann tat sich ein neues Fenster zur Realität
auf, das Internet. Natürlich wird derzeit alles unternommen, um dieses, wie
die anderen Medien, unter Kontrolle zu bekommen. Aber noch ist es nicht so
weit.
Im Moment wächst der Einfluss des Internets und die
reale Möglichkeit besteht, dass in der Gesellschaft ein Widerstand gegen
Aufrüstung und Krieg aufgebaut werden kann. Der Widerspruch zwischen einer
Aufrüstung, die zu mehr Rüstungsausgaben führen wird, wie das größte Land
der Welt, Russland, eine Atommacht, für Rüstung ausgibt, und der
Verpflichtung aus dem Geist des Grundgesetzes sind zu offensichtlich, als
dass man sie übersehen könnte. Und die Nutzung des Grundgesetzes zur
Verfolgung von politischen Gegnern durch die Politik in Deutschland
einerseits, und die Angst davor, dass die Parteien einen Teil ihrer Macht
durch eine Verfassung verlieren könnten, andererseits, macht es für das
Establishment schwierig, das Grundgesetz durch eine neo-koloniale Verfassung
zu ersetzen.
MM: Einstmals war die Grüne Partei mit Petra
Kelly und Gerd Bastian angetreten, um eine friedliche "Alternative für
Deutschland" darzustellen. Jetzt soll es grüne humanitäre Angriffskriege
geben dürfen. Korrumpiert der Bundestag idealistische Menschen?
Mitschka: Ich glaube nicht, dass es der
Bundestag ist, der idealistische Menschen korrumpiert. Ich glaube, dass
Menschen, welche auf Positionen drängen, die sie in den Mittelpunkt stellen,
von sich aus schon durch Narzissmus und Überlegenheitswahn dazu neigen,
Idealismus durch Pragmatismus zu ersetzen. Wenn man den Werdegang vom
Turnschuh-Revoluzzer Joschka Fischer, über seine Tätigkeit als Minister, der
entscheidend für den ersten Angriffskrieg Deutschlands nach dem Krieg war,
zum transatlantischen Lobbyisten betrachtet, und dann alte Interviews von
frühen Mitkämpfern aus der Studentenzeit liest, wird man zu der Auffassung
kommen, dass der Weg vorgezeichnet war.
Ich möchte es so sagen: Das System insgesamt, in
dem Bekanntheit und heute auch mediale Unterstützung, entscheidend für die
Wirkung auf die Gesellschaft ist, fördert natürlich Narzissmus. Warum es
ausgerechnet die Grünen waren, die sich nun als Kriegstreiber hervortun?
Warum haben ausgerechnet die Grünen die schlimmste Entwicklung durchgemacht,
von der einstigen Anti-Kriegs-Partei, über eine Partei, welche den ersten
Angriffskrieg Deutschlands nach dem Krieg ermöglichte, zur Partei, die
Deutschland in den Krieg gegen Afghanistan trieb und heute mit ihrer
politischen Stiftung fordert, zukünftig noch mehr "robuste humanitäre
Einsätze", also Angriffskriege zu führen, auch ohne das Plazet der UNO bzw.
des Sicherheitsrates? Nun, wenn man versucht, das zu beantworten, landet man
schnell bei Verschwörungstheorien. Vielleicht sollte man einfach mal genau
hinschauen, welche Beziehungen führende Parteikader zu den USA unterhielten
oder noch unterhalten.
Ich glaube, dass ein System, das auf ewigem
Wachstum, Profit, und Reichtum als primäres Ziel aufbaut, zwangsläufig
Menschen an die Spitze befördert, welche Narzissten sind, und eben diesen
Zielen nachjagen. Erst wenn die Ideale der Gesellschaft sich wieder denen
von Religionen, oder z.B. post-marxistischen Idealen nähern, also
Erkenntnis, Nutzen für die Gemeinschaft, dienen statt herrschen usw., wird
vermutlich eine Veränderung möglich sein. Dazu gehört allerdings auch eine
Veränderung der Organisationsform. Rotationsprinzip, Losverfahren bei
gleicher Qualifikation usw., könnten zu einer Verringerung des
Personenkultes führen. Allerdings. … Vor Personenkult ist letztlich leider
kein System wirklich gefeit. Vielleicht sind die Menschen noch nicht reif,
sich für als richtig erkannte moralische und ethische Grundsätze
einzusetzen, ohne dass ihnen ein Vorbild gezeigt wird. Natürlich gibt es
immer wieder in der Geschichte der Welt herausragende Denker und Führer.
Aber erst wenn wir ihre Lehren von der Person trennen, werden wir in der
Lage sein, zu verhindern, dass sich Narzissten in der Gesellschaft
durchsetzen. Und nur dann werden wir auch in der Lage sein, diese Lehren
weiter zu entwickeln.
MM: Was kann der Einzelne tun, damit
Deutschland ein freies und souveränes Land wird und wir selbst darüber
entscheiden, wie unsere Beziehung zu Russland, zum Iran oder zu Palästina
seine sollen?
Mitschka: Das ist eine der schwersten
Fragen, die man mir in letzter Zeit gestellt hat. Eine Demokratie benötigt
freie Medien, welche einen Markt der Meinungen widerspiegelt. Nur dann kann
sich der Wähler eine eigene Meinung bilden, nur dann kann er wirklich
entscheiden, was für ihn, seine Situation und Deutschland die beste Politik
ist. Dieser offener Austausch der Argumente und Meinungen existiert aber
nicht mehr. Gerade in der Coronakrise kann man wunderbar sehen, wie der
erlaubte Rahmen der Diskussion immer stärker verengt wurde. Also wäre der
wichtigste Schritt, entweder die alternativen Medien noch stärker zu machen,
bis es zu einem Bruch innerhalb den "corporate" Media kommt, und der Markt der
Meinungen ermöglicht wird. Ein wichtiger weiterer Schritt wäre, endlich dem
deutschen Volk zu ermöglichen, sich eine Verfassung zu geben, und darüber
abzustimmen. Und diese Verfassung müsste unbedingt die Macht der politischen
Parteien begrenzen und echte Gewaltenteilung durchsetzen. Dies wäre zum
Beispiel auch durch eine Reform der öffentlich-rechtlichen Medien möglich,
indem den Parteien die Kontrolle genommen wird. Da aber im Moment alle im
Bundestag vertretenen Parteien, die ja alle mal an die Regierung wollen,
ganz zufrieden sind, mit der Einsäulengewaltenteilung, ist dieser Schritt
noch schwerer zu realisieren. Ich sagte bewusst Einsäulengewaltenteilung.
Denn nicht nur die Justiz ist in keiner Weise unabhängig, sondern es gibt
auch keine echte Legislative, welche die Exekutive kontrolliert. Denn wir
wählen die Exekutive gar nicht, wir wählen den oder die Regierungschefin gar
nicht. Wir wählen lediglich politische Parteien. Die stellen uns Kandidaten
auf, die kommen dann in die Legislative und sollen die Exekutive
kontrollieren. Aber in Wahrheit klüngeln sie im Parlament zusammen, um die
Regierung zu bestimmen. Damit ist der Bundestag sozusagen die Mutter der
Regierung, soll sie aber kontrollieren, obwohl alle Politiker vom Wohlwollen
der politischen Parteien abhängen? Noch dazu sind Regierungsmitglieder auch
im Bundestag, sollen die sich selbst kontrollieren? Wie absurd das ist, hat
ein Bundestagsabgeordneter, Marco Bülow, der aus der SPD ausgetreten war, in
einem Video berichtet. Man hatte ihm, so ich mich richtig erinnere, ungefähr
15 Minuten Zeit gegeben, um einige hundert Seiten Begründung zu einem
Gesetz, das zu einem Kriegseinsatz führte, zu studieren. Natürlich wurde
auch das durchgewunken. Was mich dann immer so furchtbar beschämt, ist die
Tatsache, mit welcher Überheblichkeit deutsche Politiker sich erdreisten
über politische Meinungsbildung in anderen Ländern zu urteilen.
Ein letzter Punkt erscheint mir auch noch wichtig:
Das politische, mediale und wirtschaftliche Establishment in Deutschland
spielt wie niemand vorher, auf der Klaviatur von "teile und herrsche". Es
polarisiert, hetzt Junge gegen Alte, "Klimaleugner" gegen "Greta Jünger",
Linke gegen Rechte, Frauen gegen Männer, und nun gerade so genannte
"Corona-Leugner" gegen "Impfbefürworter". Ich denke, dass alle Fraktionen
mal langsam überlegen müssen, was wirklich wichtig ist, und wo sich alle
Positionen doch eigentlich sehr ähnlich sehen. Um dann gemeinsam diese
Positionen gegenüber dem Establishment zu vertreten. Aber natürlich hat man
dafür auch schon ein Totschlagargument entwickelt, den so genannten
Querfront–Vorwurf. Wie kann ein Linker es wagen zu atmen, wenn ein Rechter
das Gleiche tut? Und ich denke, das Brechen der Macht der politischen
Parteien, die Beseitigung der Immunität der Politik bei Bruch der
Verfassung, die Realisierung einer Gewaltenteilung, zum Beispiel über eine
Verfassungsdiskussion, sollte eigentlich alle zusammen führen.
MM: Herr Mitschka, wir danken für das
Interview.
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