MM: Herr Rauls, wir beginnen mit Ihrem Vorwort
zum jüngsten Buch und fragen daher: Wird Deutschland nur noch von staatlich
geprüften Epidemiologen, realitätsfernen Covidioten und einem Rest von
bedauernswert Ahnungslosen bewohnt und zu welcher Gruppe gehören Sie?
Rauls: Nein! Deutschland wird mehrheitlich
bewohnt von solchen Leuten, die in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht
wahrgenommen werden. Das sind die einfachen Menschen, die tagtäglich
zuverlässig und gewissenhaft ihre Arbeit machen und damit die Gesellschaft
am Laufen halten.
Das sind die Menschen, die dafür sorgen, dass Busse
und Bahnen fahren und Kranke und Gebrechliche versorgt werden. Das sind die
Menschen, die verstopfte Toiletten wieder frei machen, die Dächer decken und
Autos reparieren, die dafür sorgen, dass die Regale in den Supermärkten
gefüllt und die Büros geputzt sind, all jene bescheidenen Menschen, die
heute in unserer Gesellschaft kaum noch beachtet werden und viel zu oft
schlecht bezahlt sind.
Sie gehören zu der Mehrheit, die nicht in den
Talk-Shows zu Wort kommt, denen keine roten Teppiche ausgerollt werden,
denen keine Spalten in den Tageszeitungen gewidmet werden. Und weil die
Gesellschaft sie nicht mehr beachtet, haben sie sich auch zu weiten Teilen
von der öffentlichen Diskussion abgewandt. Es sind nicht ihre Themen, die da
verhandelt werden. Aber sie sind trotzdem da, und das ist die Mehrheit in
unserem Lande wie in vielen andern Ländern der Welt auch.
Sie wollen ein menschenwürdiges Leben führen und
eine freundliche Zukunft schaffen für ihre Kinder. Aber sie gehören nicht zu
dem intellektuellen Wasserkopf, der die Themen der Medien beherrscht. Diesen
einfachen Menschen fühle ich mich verbunden, und zu ihnen zähle ich mich.
MM: Sie stellen in Ihrem Vorwort viele
Fragen, die wir sehr gerne an Sie zurückgeben möchten: Welche Bedeutung hat
Wissenschaft noch, wenn selbst die Wissenschaftler in vielen Fragen
unterschiedlicher Meinung sind, das aber wissenschaftlich begründet?
Rauls: In unserer heutigen Gesellschaft sind
Intelligenz und Intellekt zum goldenen Kalb erhoben. Das drückt sich aus in
der Verherrlichung der Wissenschaft und all jener, die einen Titel tragen.
Wissenschaft soll Wissen schaffen, aber sie ist nicht der Weisheit letzter
Schluss. Auch Wissenschaft unterliegt dem Wandel. Außer vielleicht einigen
Erkenntnissen der Naturwissenschaften sind die meisten wissenschaftlichen
Ergebnisse nur vorläufige. Das war schon immer so. Und im Idealfall führt
der Diskurs zwischen den unterschiedlichen Ansichten zu neuer Erkenntnis.
Heute jedoch wird die Wissenschaft von
unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen instrumentalisiert für die
eigenen Interessen und Sichtweisen. Es geht bei diesen Auseinandersetzungen
in den wenigsten Fällen noch um das Erkennen der Wirklichkeit. Im
Vordergrung stehen bei vielen Rechthaberei und Selbstdarstellung. Ich erlebe
immer wieder in den Diskussionen, dass nur jene wissenschaftlichen
Erkenntnisse vorgetragen oder anerkannt werden, die die eigene Meinung, das
eigene Weltbild stützen.
MM: Haben Sie jemals verstanden, wie es
Politikern mit Hilfe von Wissenschaftlern genau gelingen soll, die
Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen?
Rauls: Mit Hilfe von Wissenschaftlern wird
es ihnen sowie so nicht gelingen. Das gelingt nur, wenn die Menschen in
dieser Frage mitziehen, weil sie die vorgeschlagenen Maßnahmen für sinnvoll
halten.
Inhaltlich aber sind für mich sehr viele Fragen
ungeklärt und teilweise sogar widersprüchlich. Aber das heute noch zu
diskutieren, scheint mir aussichtslos. Zu sehr hat sich die Ansicht
verfestigt, dass der Klimawandel nicht mehr bezweifelt werden kann oder gar
darf, wie ich neulich noch in einer Diskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung
erfahren durfte.
Was sicherlich nach den objektiven, messtechnisch
ermittelten Daten nicht bezweifelt werden kann, ist die Erderwärmung. Das
ist aber etwas anderes als Klimawandel. Aber ich habe Zweifel daran, dass
das dem Kohlendioxid angelastet werden kann. Wobei es ja nicht um das
Kohlendioxid generell geht, sondern nur um das menschengemachte.
Allein die These vom Kohlendioxid als Verursacher
der Erderwärmung steht schon im Widerspruch zur Wirklichkeit der
erdgeschichtlichen Entwicklung. Die Erde hat sich abgekühlt im Laufe ihrer
Geschichte und das bei wesentlich höheren CO2-WErten und wesentlich höheren
Temperaturen. Nach der Treibhaus-Theorie aber hätte sie sich unter diesen
Umständen aufheizen statt abkühlen müssen. Aber diesen Widerspruch hat mir
noch kein Klimaaktivist (m,w,d) auflösen können.
Von daher habe ich erhebliche Zweifel, ob die
Billionen, die nun zur Dekarbonisierung ausgegeben werden, sinnvoll
ausgegeben sein werden. Wie will man den Menschen im Ahrtal verständlich
machen, dass Billionen für eine ungewisse Senkung des CO2-Anteils in einer
fernen Zukunft bereitstehen, für Maßnahmen der Hochwasser-Prävention und den
Wiederaufbau aber das Geld nur zögerlich fließt, wie man den Berichten aus
der betroffenen Region entnehmen kann.
Natürlich könnte man zu dem Thema noch
ausführlicher werden, denn es gibt noch mehr Widersprüchliches. Aber es
handelt sich hier um ein Interview und nicht um einen Vortrag.
MM: Besteht nicht die aktuelle Gefahr, dass
eine neue Ideologie in der Westlichen Welt um sich greift, die lauten könnte
"an der westlichen Welt und ihrer CO2-Steuer sowie der Impfpflicht soll die
Welt genesen?
Rauls: Ich bin kein Prophet. Das überlasse
ich den intellektuellen Kaffeesatzlesern. Deshalb versteige ich mich auch
nicht zu Voraussagen, woran die Welt genesen wird. Ich habe zunehmend
Zweifel, dass die westliche Welt die Rezepte für die gesamte Welt parat hat.
Sie kann ja nicht einmal die eigenen Probleme lösen. Wie soll sie die
Probleme von Staaten und Kulturen lösen, deren Denken und Wertmaßstäbe sie
nicht versteht? Die westliche Welt - oder besser gesagt – der Teil, der sich
unter dem Begriff der Westlichen Wertegemeinschaft versammelt, macht doch
nur einen Bruchteil der Weltbevölkerung aus. Wie kann denn diese Minderheit
für sich in Anspruch nehmen, die Lösungen für die Probleme unseres Planeten
zu haben, zumal wenn man andere Sichtweisen wie die der Chinesen, Russen und
der Völker der dritten Welt nicht ernst nimmt, nicht gelten lassen will oder
gar bekämpft?
MM: Lassen Sie uns den Bogen etwas größer
spannen: Sie haben einst festgestellt, dass seit Jahrzehnten Staaten, die
sich nicht den Interessen der USA und des Wertewesten unterwerfen, mit
Sanktionen drangsaliert werden und sich der Wertewesten totsanktioniert
haben könnte. Ist denn der Wertewesten nicht geradezu dazu genötigt die Welt
zu unterdrücken, wenn man weiß, wie Geld funktioniert?
Rauls: Vielen Dank für die Blumen. Aber ob
ich weiß, wie Geld funktioniert, wird sich noch zeigen, auch wenn ich dazu
ein Buch geschrieben habe. Aber im Moment scheine ich noch richtig zu
liegen, wenn man die herkömmlichen Inflationstheorien betrachtet und meine
Kritik daran.
Zu Ihrer Frage: Erstens: Noch hat der Wertewesten
sich nicht totsanktioniert. Aber er schadet mit den Sanktionen ganz
erheblich auch der eigenen Wirtschaft.
Zweitens: Gerade wenn man weiß, wie Geld
funktioniert, weiß man auch, dass nicht das Geld das Problem ist. Geld -
auch wenn jetzt so mancher schmerzgeplagt aufjaulen wird - ist neben dem Rad
und der Schrift eine der größten Erfindungen der Menschheit. Dass Geld nicht
notwendigerweise zur Unterdrückung der restlichen Welt führen muss, zeigen
zwei Beispiele, die sicherlich auch wieder dem ein oder anderen nicht
gefallen werden. Das eine ist China, das andere der Feudalismus.
Im Feudalismus, also der Gesellschaftsform vor dem
Kapitalismus, herrschte eine breite Unterdrückung der Bevölkerung, besonders
der Landbevölkerung, die zu großen Teilen sogar in Leibeigenschaft lebte,
also in vollkommener Abhängigkeit von den Feudalherren. Aber in dieser
Gesellschaftsform spielte das Geld noch so gut wie gar keine Rolle. Bezahlt
wurde weitgehend in Naturalien. Geld war knapp wegen der Knappheit an
Münzmetallen und hauptsächlich in den Städten anzutreffen. Also kann
festgestellt werden, dass Unterdrückung nicht unbedingt mit Geld
zusammenhängt. Es gab im größten Teil der Menschheitsgeschichte
Unterdrückung auch ohne das Vorhandensein von Geld.
Im Gegenteil: Geld ist neben Arbeit die
Voraussetzung für wirtschaftlichen Fortschritt und gesellschaftliches
Wohlergehen, wobei die Arbeit die wichtigere ist. Geld bringt nur dann mehr
Geld oder Mehrwert, wenn es in Kontakt kommt mit Arbeit. Ohne Arbeit bringt
alles Geld der Welt nichts.
Die segnende Wirkung des Geldes sehen wir in China,
wo innerhalb einer Generation Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut
befreit werden konnten. Das wäre so schnell nicht möglich gewesen ohne den
Zufluss von Kapital. Das hat die Entwicklung des Landes enorm beschleunigt.
Hier hat Geld zur schnelleren Überwindung der Armut beigetragen. Trotz
seines Reichtums aber - China verfügt heute über die größten Devisenreserven
der Welt – ist China kein Land, das in Form von Kriegen oder Sanktionen
andere Länder unterdrückt. Ich weiß, dass sich viele im Westen die größte
Mühe geben, den Chinesen anderes nachzuweisen. Aber das sind größtenteils
intellektuelle Verrenkungen. Wenn man diesen Behauptungen auf den Grund
geht, stellt man schnell fest, dass vieles nicht stimmt, vieles nicht
vergleichbar ist und vieles nicht verstanden wird. Aber das müsste dann an
anderer Stelle noch einmal genauer erklärt bzw. kann in Beiträgen auf meinem
Blog nachgelesen werden.
MM: Sind Sie ein Verschwörungstheoretiker?
Rauls: Nein. Ich betreibe keine
Verschwörungen und sehe andererseits auch nirgendwo die weltweite
Verschwörung am WErke, die so mancher heute zu sehen glaubt. Dafür ist die
heutige Welt viel zu transparent und andererseits auch wieder viel zu
komplex, als dass sie von einer Handvoll Menschen bis hinab in die kleinsten
Verästelungen der Gesellschaft kontrolliert und manipuliert werden könnte.
Andererseits halte ich aber auch nichts davon,
solche als Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen, die über ein vielleicht
unverständliches Weltbild verfügen. Das ist eine weit verbreitete
Erscheinung nicht nur unter den sogenannten Verschwörungstheoretikern.
Schaut man gelegentlich ins politische Berlin oder Washington - noch
schlimmer sind die Polittalks – dann wirft sich viel eher die Frage auf, in
welcher Welt diese Herrschaften eigentlich leben.
Zudem darf eines nicht vergessen werden: Es sind
sicherlich die großen Publikumsmedien, die am ehesten diesen Vorwurf
verdienen. Alleine deren Berichterstattung erlaubt schon die Frage, wo mehr
verschwurbelte Theorien, mehr Kaffeesatzleserei, mehr Spekulationen
betrieben werden über Politik und Motive von z.B. Putin, Xi Jingping, Maduro
oder all den anderen, mit denen der Wertewesten im Clinch liegt. Da ist
sachliche, an Erkenntnis orientierte Berichterstattung Mangelware. Da
dominiert die Meinungsmache.
MM: Was kann der einfache Bürger, mit denen
Sie sich verbunden fühlen, dazu beitragen unser Schicksal zumindest in
Deutschland auf menschenfreundlichere Wege zu führen?
Rauls: Als einzelne Bürger, d.h. als
Vereinzelte scheint mir das ziemlich aussichtslos. Klar, könnte man hier die
allseits bekannten Appelle wiederholen, dass „jeder dazu beitragen muss, die
Welt ein bisschen besser zu machen“. Mit solchen Appellen werden wir doch
täglich beträufelt. Ist denn die Welt besser dadurch geworden? Das Problem
ist doch nicht, dass die Menschen nicht eine bessere Welt wollten. Das
Problem ist, wie solche Appelle umgesetzt werden können.
Ich stelle fest, dass die Menschen hierzulande
trotz der epidemischen Harmonieappelle und WIR-Bekenntnisse immer mutloser
und gereizter werden. Wichtig wäre es, sich statt von Appellen einlullen zu
lassen, sich für die eigenen Interessen zu organisieren. Fridays for Future
ist nicht deshalb so einflussreich, weil es die besseren und
wissenschaftlicheren Argumente hat, sondern weil sie organisiert auftreten
und damit politischen Druck ausüben. Das bedeutet beispielsweise für die
Klimapolitik, dass man sich gegen die CO2-Steuer organisiert, damit Strom
und warme Wohnungen kein Luxus werden, damit die Menschen weiterhin mit dem
Auto zur Arbeit pendeln können. Denn auch Frau Baerbock tritt ihre
Arbeitswege nach Paris oder demnächst nach Washington nicht mit dem Fahrrad
an oder mit dem Segelboot. Gelten denn für sie höhere Rechte, andere
Moralvorstellungen als für die einfachen Arbeiter? Trinkt sie heimlich Wein,
predigt aber öffentlich Wasser?
MM: Abschließend doch noch eine Frage, die
man sich heutzutage kaum noch traut zu fragen. Meinten Sie das mit der
männlich/weiblich/diversen Klimaaktivist*Innen ernst oder war das eine
eingeschobene Auflockerung?
Rauls: Gegenfrage: Warum traut man (oder
besser Mann?) sich das nicht mehr? Lassen Sie sich doch nicht maßregeln!
Verbitten Sie sich, dass man Ihnen vorschreibt, wie sie sich auszudrücken
haben! Noch ist Gendern kein Gesetz! Sie sehen, dass es sich um eine
eingeschobene Auflockerung handelte.
Das Gendern ist in der Anwendung umständlich und
weltfremd. Und es trägt nach meinen Erfahrungen gerade nicht zu mehr
Toleranz bei, eher im Gegenteil. Schwule, Schwarze oder sonstige Angehörige
von Minderheiten, mit denen man bisher als ganz normale Kollegen, Nachbarn,
Familienangehörige oder Bekannte zusammen gelebt und gearbeitet hatte,
werden erst jetzt zu solchen, die anders sind. In den Betrieben, in denen
ich bisher gearbeitet hatte, war das nie ein Problem. Jetzt erst scheint es
eins zu werden.
In meinem Umfeld kenne ich niemanden, der gendert.
Im Gegenteil: Das Gendern ist unbeliebt, weil es als bevormundend empfunden
wird. Da will eine intellektuelle Elite der überwiegenden Mehrheit
vorschreiben, wie sie sich auszudrücken hat. Diese Minderheit glaubt, die
Gesellschaft maßregeln und sich über sie erheben zu dürfen. Wodurch fühlen
sie sich dazu berufen? Niemand hat sie gewählt, niemand beauftragt außer sie
sich selbst.
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist nicht
rassistisch, auch nicht homophob oder gar frauenfeindlich. Toleranz kann man
nicht durch Verordnungen erzwingen. Beste Voraussetzungen für eine tolerante
Gesellschaft sind das Wohlergehen aller und das Gefühl von Gerechtigkeit.
Aber es wird immer auch Menschen geben, die Vorurteile und Abneigungen gegen
andere haben. Einige mögen keine Kinder, andere keine Bayern, wieder andere
keine Mercedes-Fahrer oder auch keine alten weißen Männer.
MM: Herr Rauls, wir danken für das
Interview. |