Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Susan Bonath
 

Susan BonathMuslim-Markt interviewt
Susan Bonath - Journalistin, Autorin und Künstlerin
28.3.2022

Susan Bonath (geboren 1971 in Magdeburg) wuchs in der DDR in verschiedenen Kinderheimen auf und absolvierte eine Ausbildung zur Keramikerin. Ihre Fähigkeit zum Schreiben entdeckte sie eher beiläufig. Als Journalistin schrieb sie unter anderem für die "Volksstimme", die "junge Welt“, für die Online-Plattformen Rubikon und Multipolar und arbeitet für den russischen Staatssender RT DE.

Zur Zeit der Corona-Maßnahmen wendet sie sich gegen staatliche Bevormundung und die massiven Freiheitseinschränkungen, wobei sie vielen Medien eine Mitschuld attestiert, da sie durch die Verbreitung von Angst erst viele Maßnahmen möglich gemacht haben. Sie selbst beschreibt sich als Kommunistin. Sie hat zeitweilig für das Online-Portal KenFM von Kayvan Soufi-Siavash (ehemals Ken Jebsen) Artikel verfasst. Susan Bonath lebt in Haldesleben (Sachsen-Anhalt).

MM: Sehr geehrte Frau Bonath, ihnen wird nachgesagt, dass Sie eine kompromisslose „Linke“ seien. Wird es Ihrem Image nicht schaden, ausgerechnet Anhängern einer islamischen Befreiungstheologie ein Interview zu geben?

Bonath: Um mein Image habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht, und das wird auch so bleiben. Die ständige Sorge um Reputation führt von Problem-Lösungen weg und ist nach meiner Ansicht eine Form von unterwürfigem Verhalten gegenüber in der Hierarchie höher Gestellten. Als Linke lehne ich natürlich Herrschaft von Menschen über Menschen grundlegend ab. Nichts ist so wichtig wie der Diskurs innerhalb der unterdrückten Klasse. Zu meiner Klasse gehören Arbeiter, Angestellte, Erwerbslose, Geflüchtete und Obdachlose genauso wie Muslime, Christen, Juden, Hindus oder Atheisten. Ich kann als Linke natürlich ein bestimmtes Verhalten oder Denken von Angehörigen meiner Klasse kritisieren. Es ist aber nicht Aufgabe der politischen Linken, hier blind zu moralisieren, sondern zuallererst einen klaren Klassenstandpunkt einzunehmen. Denn unser aller Problem ist es ja, dass die Herrschenden ein sehr ausgeprägtes Klassenbewusstsein haben und gegen uns verwenden. Das Gros der modernen Linken hat diesen leider verloren, vermutlich, weil sie sich zunehmend selbst aus der sogenannten Mittelschicht mit ganz eigenen Interessen rekrutieren. Die Herrschenden freut das natürlich. Wenn wir uns aber von Herrschaft und Unterdrückung befreien wollen, können wir das nur zusammen. Darum ist es mir eine große Freude, mit Ihnen zu reden.

MM: Angesichts der aktuellen Weltlage steigen wir direkt in das Thema ein: Arbeiten Sie für einen verbotenen Feindsender und haben Sie keine Sorge, dass das gegen Sie verwendet werden könnte?

Bonath: Ich schreibe Artikel für mehrere Online-Medien, wie Rubikon, Multipolar und auch, seit sieben Jahren, für RT DE. Letzterer ist der russische Auslandssender, den die EU nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine ja inzwischen verboten hat. Natürlich haben mich schon einige gefragt, warum ich das jetzt weitermache. Der wichtigste Aspekt ist wohl, dass ich in deutschen Mainstream-Medien schon vor Jahren nie so frei arbeiten konnte, wie bei RT DE. Um es kurz zu machen: Ich bekomme keine Vorgaben aus dem Kreml oder von der Chefredaktion. Niemand sagt mir, was ich schreiben darf und was nicht. Voraussetzung ist nur, dass die journalistische Qualität stimmt und ich saubere Quellen bringe.

MM: ... und was ist der zweitwichtigste Aspekt?

Bonath: Der zweitwichtigste Aspekt ist: Der Krieg in der Ukraine ist ja nicht vom Himmel gefallen. Der Bürgerkrieg – maßgeblich forciert von der ukrainischen Regierung – tobt in Wahrheit seit dem Maidan-Putsch. Und weder daran noch an dem Einmarsch der russischen Armee sind meine Kollegen schuld. Sie und ich und jeder vernünftige Mensch sind natürlich tief erschüttert über diesen und jeden Krieg. Das Elend trifft immer die Ärmsten am Schlimmsten. Zu Ihrem letzten Punkt der Frage: Wer etwas gegen mich verwenden, mich etwa als Staatsfeindin darstellen will, wird ohnehin seit langem fündig im Internet. Ich habe ja schon viele kritische Beiträge geschrieben. Jetzt alles hinzuschmeißen, wäre blöd. Und das ist eigentlich auch nicht mein Naturell. Journalisten müssen einfach manchmal vieles aushalten.

MM: Als jemand, der in der Endphase der DDR groß geworden ist, wie kommt es Ihnen vor, wenn „Putins Lügensender“ verboten wird, damit im Tal der Ahnungslosen nicht unschuldige Bürger Opfer einer Staatspropaganda werden?

Bonath: Na ja, in Kriegen tobt natürlich die Propaganda von allen Seiten. Was sich die westlichen Medien derzeit an Propaganda leisten, aber auch in der Vergangenheit, etwa im Zusammenhang mit Corona, geleistet haben, macht mich tatsächlich fassungslos. Da ist nichts Rationales mehr, sie spielen mit den Emotionen der Menschen. Das Verbot der Gegenseite soll hier schlicht dafür sorgen, dass die Menschen nur die NATO-Seite zu hören bekommen. Und der Westen ist eben nicht „der Gute“ in diesem „Spiel“.

Mit der DDR ist das schwierig zu vergleichen. Die DDR hatte massive Probleme: Der Kalte Krieg, die ökonomische Abhängigkeit vom kapitalistischen Markt, die massenhafte Abwerbung von in der DDR gut ausgebildeten Fachkräften durch die BRD bis 1961. Und sie hatte im eigenen Land eines nicht: Kapitalisten, die sich die Profite eingesteckt haben. Die realen diktatorischen Auswüchse hatten dort ganz andere Ursachen als jene, die wir heute in Deutschland und anderen imperialistischen und kapitalistischen Staaten beobachten können.

MM: Warum glauben Sie sind die Sachsen-Anhalter, unter denen sie leben, besonders anfällig für „teilweise kruden Thesen" nicht nur in Bezug auf Russland sondern auch Corona?

Bonath: Die Frage ist zunächst: Was bedeutet hier „krude“? Das ist ja ein Framing-Begriff, den viele Leitmedien seit Jahren rauf und runter spulen, und dies natürlich letztlich im Interesse der Herrschenden. Demnach ist inzwischen fast jede Abweichung vom offiziell vorgegebenen Leitnarrativ, jeder Kontakt zu Menschen, die davon abweichen, „krude“. Diese Kontaktschuld-Vorwürfe und gruppenbezogenen Pauschal-Unterstellungen kennen Sie als Muslime ja auch.

MM: ... zweifelsohne, aber Ostdeutsche sind skeptischer ...

Bonath: In der Tat sind viel mehr Ostdeutsche skeptischer gegenüber der Regierung und ihren Erzählungen als Westdeutsche – so nehme ich es jedenfalls deutlich wahr. Das hat wohl weniger damit zu tun, dass sich die Älteren an die Staatspropaganda in der DDR erinnern, als mit der Geschichte um und nach 1989. Die ersten Demonstranten damals wollten keinen Anschluss an die BRD, sondern eine demokratische DDR. Die Verlockungen D-Mark und Westprodukte waren am Ende größer. Ich glaube, viele haben sich später überrumpelt gefühlt. Man muss sich vorstellen: Das Leben der DDR-Bürger war ja von einem Tag zum anderen über den Haufen geworfen, nichts war mehr wie vorher: Millionen standen plötzlich zum ersten Mal in ihrem Leben arbeitslos auf der Straße, waren gezwungen, sich bei Privatbetrieben zu verdingen.

MM: War das wirklich so überraschend?

Bonath: Viele hatten keine Ahnung von der ausufernden westdeutschen Bürokratie, von den hohen Mieten und merkten auf einmal: Wir haben jetzt zwar ein Westauto, sind aber ärmer als vorher. Es ist vielleicht dieses – realistische – Gefühl, überrumpelt worden zu sein. Und einer Regierung, die einen so überrumpelt hat, traut man nicht blindlings über den Weg. Die Westdeutschen haben eine andere Erfahrung, und zwar die vom guten Kapitalismus, der soziale Marktwirtschaft spielt, der die Gewerkschaften einbindet und die Löhne der Inflation entsprechend regelmäßig erhöht. Und wenn man so sozialisiert ist, guckt man sich die Dinge natürlich genauer an. Da würde ich mich einschließen. Aber davon abgesehen, ist es ohnehin die Aufgabe von Journalisten, der Regierung kritisch auf die Finger zu schauen und zu schreiben, was ist.

MM: Journalisten westlicher Mainstream-Medien erhalten sehr strikte Vorgaben, die einzuhalten sind: So gibt es z.B. gute Besatzer (Israel), die dürfen alles, und böse Besatzer (Russland), die müssen mit allen Mitteln bekämpft werden. Welche Vorgaben bekommen Sie von Ihrem Arbeitgeber RT?

Bonath: Also bisher habe ich noch nie eine Vorgabe von RT DE oder aus dem Kreml bekommen. Ich durfte immer alle Themen bearbeiten, die mir wichtig waren. Nun ist dazu zu sagen, dass ich ausschließlich über deutsche Politik schreibe. Vielleicht lag ich mit meinen Kollegen zufällig auf einer Wellenlänge? Ich weiß es von Kollegen, etwa beim MDR oder bei der hiesigen Tageszeitung Volksstimme, aber auch aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung, dass das in deutschen Medien keineswegs der Normalstandard ist. Da grassiert schon etwas mehr Angst unter Festangestellten und Freien, eine ungeschriebene „Linie“ zu überschreiten und arbeitslos zu werden. Um es drastisch auszudrücken: Dort trägt sich die Propaganda wohl am stärksten durch vorauseilenden Gehorsam, und zum Teil natürlich auch, wie zum Beispiel vom Springer-Verlag bekannt ist, durch strikte Positionierungen bezüglich des Staats Israel etwa.

MM: Bei diesem Interview werden Sie sicherlich gleich von zwei Seiten überwacht, sowohl von Seiten hinter dem Interviewer als auch von Seiten hinter dem Interviewten. Mit welchen Schwierigkeiten hat eine RT-Journalistin in Deutschland zu rechnen, außer dass sie überwacht wird?

Bonath: Von der Überwachung merken wir beide sicherlich nicht so viel, weil die schließlich geheim ist (lachen). Ansonsten haben die deutschen Behörden RT DE ja schon auf dem Kieker, seit ich dort 2015 angefangen habe. Geht es nach der deutschen Politik und den Leitmedien, verbreiten wir am Fließband „Desinformationen“. Das ist natürlich Unsinn, weil ich arbeite ganz normal nach journalistischen Standards, wie zuvor auch. Aber die Kampagne macht sich bemerkbar. Da wollen beispielsweise viele, die mir Interessantes berichten könnten, nicht mit mir sprechen, weil sie Angst um ihre eigene Reputation haben. Das finde ich oft sehr bedrückend. Ich habe es aber auch erlebt, dass Behörden mir deshalb nicht antworten wollten, obwohl ich einen Presseausweis habe. Aber wie lange ich diesen noch von einem anerkannten Verband erhalte, ist nun wohl auch fraglich.

MM: Als bekennende Linke marxistischer Prägung müssten Sie auf der Seite der Unterdrückten und Geknechteten, also der Kriegsopfer stehen. Warum positionieren Sie sich also nicht eindeutig gegen die russischen Invasoren?

Bonath: Natürlich stehe ich auf der Seite der Kriegsopfer, so wie ich auf der Seite aller Opfer von Krieg, Hunger und Unterdrückung stehe. Das betone ich ganz klar. Und ich bin auch nicht Anhängerin irgendeiner imperialistischen oder kapitalistischen Regierung. Auch Russland ist ein kapitalistischer Staat, genau wie die Ukraine, genau wie Deutschland. Man muss aber moralische Haltungen von politischen Analysen trennen. Und die politische Analyse ist, dass er Einmarsch der russischen Armee eine sehr lange Vorgeschichte hat. Hierzu nur einige Stichpunkte: beständige Expansion des Westens im Rahmen der NATO-Osterweiterung, Maidan-Putsch unter wohlwollender Unterstützung des NATO-Blocks, Nichteinhaltung von Abkommen durch die Ukraine (Minsk II), ein seit acht Jahren währender Bürgerkrieg in der Ukraine mit Tausenden Opfern, eine Regierung, die rassistisches Vorgehen gegen den russischsprachigen Teil der Bevölkerung und massive Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine fördert, und so weiter.

MM: In der aktuellen Ukrainekrise ist ein Präsident, der sein Volk um einige Milliarden erleichtert hat und übelste Nazi-Truppen unterstützt, zum Kandidaten für den Friedensnobelpreis aufgestiegen, während ein Präsident, der die Welt möglicherweise vor einem Weltkrieg geschützt hat, zum Sinnbild des Bösewichten wurde. Wir sehen hierbei die große Chance für die „Linke“, sich einmal ernsthaft mit dem Vorgänger Putins in der Bösewichtrolle, nämlich die Befreiungstheologie der Islamischen Republik Iran zu beschäftigen, wie es z.B. die Arbeiterfotografie bereits intensiv getan hat unter anderem mit dem Artikel Land der Liebe. Worin sehen Sie die Haupthindernisse für einen Dialog der echten „Linken“ (nicht der Wir-möchten-unbedingt-regieren-Linken) mit Anhängern der islamischen Befreiungstheologie?

Bonath: Ich muss zunächst gestehen: Ich selbst habe hier Defizite und jetzt erst einiges darüber gelesen. Ich stehe Religionen in einzelnen Aspekten durchaus kritisch gegenüber, denke aber gleichwohl, dass der Mensch nicht allein ein materielles Wesen ist und eine spirituelle Heimat braucht, um sich sozial entfalten zu können. Eine Linke muss sich meiner Meinung nach diesem Aspekt öffnen. Im Übrigen waren auch Karl Marx spirituelle und religiöse Aspekte nicht fremd. Eine Linke darf sich dem nicht verschließen. Ich denke, der fehlende Diskurs liegt vor allem daran, dass die Linke nicht nur in Deutschland zutiefst gespalten und im Gros sogar fast nicht mehr existent ist. Die herrschende Klasse hat in den vergangenen Jahrzehnten leider nicht geschlafen und sich quasi einen weiten Teil der (ehemals) Linken einverleibt. Es ist schon abenteuerlich, wie die deutsche Politik mit linken Floskeln von Antirassismus, Gleichberechtigung, Menschlichkeit, Solidarität und so weiter um sich wirft. Das ist natürlich Heuchelei, hat aber einen weiten Teil der Linken vermutlich arg gebauchpinselt.

MM: ... und die Corona-Maßnahmen?

Bonath: Im Zuge der autoritären Corona-Maßnahmen hat sich nun die "Freie Linke" im gesamten deutschsprachigen Raum gebildet, welche die staatstragenden „Linken“ massiv kritisiert. Ich wäre dafür, dass sie mit allen, die auf Seiten der Unterdrückten stehen, Kontakt aufnimmt. Ich bin überzeugt, dass die Freien Linken das auch wollen. Man müsste nur aufeinander zugehen. Hier gilt es natürlich beidseitig, auch kulturelle Schranken zu überwinden. Die sind ja real oft marginal. Die Vorsicht spüre ich auch sehr stark in meinen Kontakten zu muslimischen, aber auch afrikanischen Communitys. Die Menschen, in der Regel Geflüchtete oder Nachkommen von „Gastarbeitern“, haben ja auch ihre Geschichte und die ist nicht geprägt von rein positiven Erfahrungen mit Deutschen. Wir müssen alle aufeinander zugehen, uns als Klassenschwestern und -brüder begreifen. Denn das sind wir ja.

MM: Frau Bonath, wir danken für das Interview?

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