Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Kazem Darabi
 

Muslim-Markt interviewt
Kazem Darabi - Buchautor und Hauptverurteilter im sogenanten Mykonos-Prozess

19.2.2022

Kazem Darabi Kazeruni ist 1959 in Kazerun im Iran geboren. Beim Sieg der Islamischen Revolution im Iran war er 18 Jahre alt. Im darauffolgenden Überfall Saddams auf die neu gegründete Islamische Republik Iran, welcher mit voller Unterstützung der Westlichen Welt erfolgte, wollte sich Darabi in der Verteidigung des Landes engagieren, erhielt aber ein Studentenvisum für die Bundesrepublik Deutschland. Nach einem Deutschkurs (bis März 1981) begann er ein Studium an der Fachhochschule Hagen.

In der Folgezeit haben konterrevolutionäre Iraner in Deutschland meist mit stillschweigendem Rückhalt durch die Behörden die Anhänger der Islamischen Revolution unter den Studenten in mehreren deutschen Städten teils mit großer Brutalität überfallen. Die angegriffenen Stundeten riefen ihre Mitstudenten um Hilfe, so dass es in mehreren Studentenwohnheimen und Universitäten zu heftigen Auseinandersetzungen kam. In der Folge wurden in der Regel immer alle Beteiligten festgenommen, die Konterrevolutionäre nach kurzer Zeit ohne Konsequenzen freigelassen und die Anhänger der Islamischen Revolution mit Strafen belegt oder ausgewiesen. Im April 1982 kam es in einem Stundentewohnheim in Mainz zu solch einer Auseinandersetzung, in die Darabi verwickelt wurde. Im Anschluss befand er sich zwischen dem 21. Juli 1982 und dem 14. Oktober 1982 in Abschiebehaft, welche in eine Duldung abgeändert wurde, damit er sein Studium fortsetzen kann.

Darabi zog im Frühjahr 1983 nach Berlin, um das Fach Bauingenieurwesens an der Technischen Fachhochschule zu studieren. Ende 1985 heiratete er eine libanesischstämmige Muslima, mit der er zwei Töchter und einen Sohn haben sollte. Er war neben dem Studium selbständig tätig, um den Familienunterhalt zu sichern. Als engagierter Muslim war er in mehreren muslimischen Organisationen aktiv und leitete auch eine Moschee. Er war Hauptorganisator der alljährlichen Aschura-Feierlichkeiten seiner Gemeinde und nahm regelmäßig an den Demonstrationen zum Quds-Tag teil. 1984 wurde er in den Vorstand des Dachverbands der Union Islamischer Studentenvereine in Europa (UISA) gewählt, der vor allem aus iranischen Studenten bestand. Im Jahr 1992 vollzog er die Pilgerfahrt nach Mekka.

Am 17. September 1992 erfolgte im griechischen Restaurant Mykonos ein Terroranschlag, der als Mykonos-Attentat in die deutsche Justizgeschichte eingehen sollte. In dem Lokal in Berlin-Wilmersdorf wurden dabei vier iranisch-kurdische Exilpolitiker bei einem Geheimtreffen ermordet, bei dem Wege zur Kooperation mit dem Iran erörtert werden sollten. Die deutschen Behörden haben den iranischen Geheimdienst beschuldigt, obwohl das Attentat dem Iran großen Schaden zugefügt hat.

Am 8. Oktober 1992 wurde Darabi festgenommen mit dem Vorwurf, den Mord ausgeführt zu haben. Nach einem dreieinhalbjährigen reinen Indizienprozess wurde Darabi zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Urteil wurde - erstmals in der Justizgeschichte der Bundesrepublik Deutschland - auch das Staatsoberhaupt eines fremden Landes mitverurteilt, ohne dass dieser jemals die Möglichkeit hatte sich zu verteidigen; es war kein Geringerer als Imam Chamenei! Darabi bestreitet bis heute, irgendetwas mit den Morden zu tun zu haben.

Im Gefängnis organisierte er nach dem Vorbild des Propheten Josef die Gefangenen, um sich gegenseitig zu lehren und läutern und half den teils zuvor kriminell lebenden Gefangenen zu einer zukunftsorientierten Denkweise in Anstand und Würde. Obwohl er dadurch erheblich daran beteiligt war, dass die Haftunterbringung aller Gefangenen problemlos verlief, wurde ihm sein friedlicher Einsatz von der Gefängnisleitung als "Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung" ausgelegt, so dass er in die Justizvollzugsanstalt Dresden zur Sicherungsverwahrung in Isolationshaft kam, die nur nach und nach gelockert wurde.

Nach 15 Jahren Haft wurde er im Dezember 2007 in den Iran abgeschoben. In Teheran wurde er von der Presse und seiner Familie sowie zahlreichen Offiziellen empfangen. In der Folge lebte er mit seiner Familie im Wechsel zwischen Iran und Libanon. Über seine Erfahrungen verfasste er ein rund 1000 Seiten umfassendes Buch, das im Iran zum Bestseller avancierte. Das Buch trägt den Titel: "Das Kaffeehaus-Gemälde" (siehe links).

Aufgrund des großen Erfolges des ersten Buches, dessen Existenz bis heute im deutschsprachigen Raum totgeschwiegen wird, verfasste er ein zweites rund 500 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel: "Die Mykonos-Affäre" (siehe rechts), das auch ins Englische übertragen worden ist. Darabi hat dem Muslim-Markt Einblicke in das Buch gewährt.

Das Interview wurde als Fern-Interview geführt, da Darabi die Einreise nach Deutschland verboten ist. Er spricht neben seiner Muttersprache Persisch auch Arabisch sowie einwandfrei Deutsch, so dass das Interview im Original in deutscher Sprache durchgeführt worden ist.

MM: Sehr geehrter Herr Darabi, bevor wir auf Ihre Erfahrungen in Deutschland eingehen zunächst die Frage: Wie leben Sie heute?

Darabi: Zurzeit lebe ich mit meiner Familie im Iran, genau wie damals in Deutschland, als ich als Geschäftsmann tätig gewesen bin, bevor ich verhaftet worden bin. Ich bin geschäftlich im Iran und in anderen Ländern in mehreren Bereichen tätig. Es geht mir gut, dennoch leide ich sehr an der Schwerbehinderung meiner Tochter. Sie lebt in einem Heim für schwer behinderte Kinder in Berlin. Es tut mir sehr weh, sie 15 Jahre nicht gesehen zu haben aufgrund der Tatsache, dass ich seit 15 Jahren nicht in Deutschland einreisen darf, nicht einmal aus humanitären Gründen zu meiner Tochter, die nicht reisefähig ist!

MM: Bis heute behaupten Sie völlig unbeteiligt am Mykonos-Attentat gewesen zu sein. Tatsächlich besagt der gesunde Menschenverstand, dass das Attentat von keiner Stelle begangen sein konnte, welche die Islamische Republik Iran unterstützte, denn schließlich sollten bei dem Treffen Wege der Versöhnung erkundet werden und größter Verlierer des Attentates war der Iran. Warum, glauben Sie, wurde dennoch von der Justiz ein reiner Indizienprozess gegen Sie geführt mit anschließender Verurteilung?

Darabi: Wie ich schon mehrmals vor Gericht ausgesagt habe, bin ich unschuldig und habe mit der Sache in keiner Hinsicht etwas zu tun gehabt. Ob dieses Treffen, von dem Sie sprechen eine Versöhnung mit der Islamischen Republik Iran gewesen ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Ich habe immer gesagt, dass ich ein Anhänger der Islamischen Republik Iran, der Hizbollah im Libanon und aller Gruppen, die gegen das Unrecht auf der ganzen Welt kämpfen, bin. Dennoch war ich nie ein Mitglied dieser Gruppen und war auch nie Mitglied des iranischen Geheimdienstes oder der islamischen Revolutionsgarden. Diese Lügen sind alle programmiert worden, damit dieser Fall in die Schuhe der Islamischen Republik Iran geschoben werden kann. Ich bin schon vor dem Urteil des Gerichts abgeurteilt gewesen von der Presse und den Medien in Deutschland, die mich vorverurteilt haben. Das ist die Wahrheit.

MM: War die Justiz nicht unabhängig, wie es aus manchen Passagen des Urteils zwischen den Zeilen herauslesbar ist?

Darabi: Die Justiz ist davon nicht unabhängig gewesen. Alle Zeugen, die gegen mich oder gegen den Iran ausgesagt haben und zwar ohne jegliche Beweise, hat das Gericht als glaubhaft angesehen. Die Zeugen allerdings, die für uns ausgesagt haben, wurden als nicht glaubhaft eingestuft. Hinzu kommt noch, dass das Gericht die Zeugen die für uns ausgesagt haben, indirekt bedroht hat. Natürlich hat das Gericht selbst festgestellt, dass keine direkten Beweismittel für die Verurteilung oder Beteiligung von Darabi zur Verfügung stehen. Auf Seite 197 des Urteils steht, dass das Gericht nicht beweisen konnte, dass ich an der Sache beteiligt gewesen bin, wozu ich Ihnen das Foto zur Verfügung stelle.

Dennoch war das Gericht von alldem überzeugt. Das heißt, das Gericht hat mich ohne Beweise in einem Indizienprozess verurteilt. Direkte Beweismittel gibt es nicht, das sage nicht nur ich, sondern auch das Gericht.

MM: In der Haftanstalt haben Sie mit dafür gesorgt, dass die Gefangenen sich geläutert und zukünftig anständige Wege angestrebt haben. Dennoch wurde Ihnen das als Missetat ausgelegt. Wie erklären Sie sich das?

Darabi: In der Haftanstalt sind verschiedene Häftlinge gewesen, Muslime, Christen usw. Ich habe versucht, für jeden ein guter Freund zu sein, die Konfession oder Herkunft der Häftlinge ist mir dabei nicht wichtig gewesen. Wir saßen in verschiedenen Sitzungen gemeinsamen und haben uns über unsere verschiedenen Religionen und der Politik unterhalten ohne jegliche Konflikte, Konfrontationen oder Beleidigungen. Wir konnten uns als Menschen gut austauschen oder andere Diskussionen führen, dabei war die Herkunft oder Religion irrelevant.

MM: Deutschland hat Ihnen aus Ihrer Sicht 15 Jahre Ihres Lebens gestohlen. Wie blicken Sie heute auf Deutschland zurück?

Darabi: Wissen Sie, von den Ländern aus, die groß über Menschrechte bzw. Gerechtigkeit sprechen, werden die meisten Ungerechtigkeiten begangen. Meiner Meinung nach begehen die selbsternannten Menschenrechtsvertreter viele Verbrechen z.B. in Palästina, Jemen, Syrien, Irak und in verschiedenen anderen Ländern in Afrika. Im Auftrag vieler westlicher Länder werden jeden Tag eine große Anzahl an Menschen umgebracht. Die Mörder sind meistens Terroristen, die von den angeblichen Menschenrechtsländern selbst ausgebildet worden sind. Die IS, al-Nusra und andere sind von den USA und ihren Verbündeten ins Leben gerufene Organisationen, die im Irak, in Jemen und vielen weiteren Ländern Unheil angerichtet haben und es teilweise bis heute tun. Wenn die Völker der selbsternannten Menschenrechtsverteidiger diese Ungerechtigkeit sehen, sind sie plötzlich blind und taub. Passiert aber eine Kleinigkeit im Iran, Libanon, in der Türkei oder in Syrien, wird ein großes Fass eröffnet. Dazu möchte ich sagen, dass das Urteil gegen mich, nämlich lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld, ein politisches Urteil gewesen ist, weil sie die Islamische Republik Iran damit verurteilen wollten. Und dafür bin ich das Opfer gewesen. Dieser Überzeugung sind sogar meine Anwälte gewesen.

MM: Welche "Geheimnisse" legen Sie in Ihren Büchern offen?

Darabi: In meinen Büchern lege ich über die Mykonos-Attentat keine Geheimnisse offen, weil ich keine Geheimnisse über das Attentat habe. Das Buch handelt von meiner Person selbst, meine Schulzeit, meine Karriere, mein Leben bevor ich nach Deutschland einreist bin. Ich habe alles über mich, meinem Leben und meine Geheimnisse offen gelegt. In meinen Büchern habe ich alles gesagt, was ich sagen wollte.

MM: Seit Ihrer Freilassung hat sich das deutsche Verhältnis sowohl gegenüber Ihrer Heimat Iran, als auch gegenüber Ihrer Zweitheimat Libanon drastisch verschlechtert. Wie denken Sie darüber?

Darabi: Deutschland wollte immer eine gute Beziehung zum Iran haben, weil es immer ein riesiges Geschäft zwischen Deutschland und dem Iran gab. Die Ungerechtigkeit gegen den Iran standen dem ganzen immer im Weg. Daran sind auch andere Länder Schuld, wie z.B. die USA und Israel. Dennoch glaube ich, dass Deutschland gute Beziehungen zum Iran haben kann, sobald sie ihre eigenen und die europäischen Interessen höher werten als die Interessen der USA und Israels. Und ähnlich ist die Situation zum Libanon, wo die Hizbullah vom Volk gewählt im Parlament sitzt.

MM: Was planen Sie für die Zukunft?

Darabi: Für die Zukunft steht in der Planung, mein Buch in viele verschiedenen Sprachen übersetzen zu lassen (Deutsch, Arabisch, Türkisch Portugiesisch, Spanisch). Auf Persisch, Englisch und Arabisch ist es bereits übersetzt und bald auf den Markt zu erhalten. Ich möchte der ganzen Welt zeigen, dass ein Mensch über 15 Jahre unschuldig in Haft gewesen ist und davon ca. 5 Jahre in einer Einzelzelle. Des Weiteren ist auch eine Verfilmung in Planung. Es gibt bereits iranische sowie ausländische Filmemacher und Drehbuchautoren, die ihr Interesse dafür bekundet haben.

Außerdem beantrage ich eine Genehmigung der deutschen Justiz, ich möchte für zwei Wochen nach Deutschland einreisen, um meine schwer behinderte Tochter Zeinab zu besuchen, weil ich sie, wie bereits erwähnt, seit 15 Jahren nicht gesehen habe. Das nenne ich Menschenrecht. Ist es nicht menschlich, dass ein Vater sich nach seiner Tochter sehnt?

MM: Herr Darabi, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrem Vorhaben, hoffen, dass sie Ihre Tochter bald in den Arm nehmen dürfen und bedanken uns für das Interview.

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