Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Michael Gassner
 

Muslim-Markt interviewt
Michael Gassner - Autor von: Islam, Geld und Wohlstand - Ein Handbuch über Finanzen und Vorsorge

10.2.2022

Michael Gassner (Jahrgang) 1969, lebt und arbeitet in Genf. Er ist hauptberuflich tätig als Head of Islamic finance einer Schweizer Privatbank. Er ist zugleich Mitglied des Scharia Boards der Bosna Bank International in Sarajevo. Nach Bankausbildung lernte er Arabisch während des Wirtschaftsstudiums (Diplom-Kaufmann) mit den Schwerpunkten Finanzierung, Marketing und Wirtschaftsgeschichte. Sein Auslandssemester verbrachte er in Damaskus. Nach dem Berufseinstieg in der ‘New Economy’, arbeitete er als Finanzberater und spezialisierte sich auf Islamic finance. In die Schweiz wanderte er ein aus Jeddah, wo er bei der Bank Al Jazira die islamische Produktentwicklung betreute. Er ist Autor des Buches "Islamic Finance – Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen" (1. Auflage 2007, 2. Auflage 2010). Seine Zielgruppe waren damals Finanzfachleute. Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben mit einer breiteren Zielgruppe: "Islam, Geld und Wohlstand - Ein Handbuch über Finanzen und Vorsorge" (2022 veröffentlicht) und will damit zur Finanzbildung deutschsprachiger Muslime beitragen.

MM: Sehr geehrter Gassner, Ihr Buch beginnt mit der Vorstellung des chinesisch-islamischen Kalligrafen, dessen Kalligrafie den Umschlag ziert, das Vorwort beginnt mit einem Gedicht Goethes über den Islam und die Danksagung mit "Alhamdulillah" (Die Dankbarkeit ist Allahs). Insofern erlauben wir uns die Frage, sie Sie sicherlich schon hunderte Male erhalten haben: Wie sind Sie zum Islam gekommen?

Gassner: Ursprünglich begann ich Arabisch zu lernen als Zusatzqualifikation. Da aber die Araber keine kurzen Vokale schreiben, sondern nur „Vkl“ und den Rest muss man wissen, ist das Lesen üben sehr erschwert – nur Kinderbücher und der Quran sind voll vokalisiert. Daher kaufte ich im ersten Kurs den Quran und habe mich begleitend zur Sprache auch über Religion und Kultur informiert. Schwierigkeiten hatte ich dann mit der Dreieinigkeitslehre – mir war gar nicht bewusst, dass Protestanten daran glauben. Meine Glaubensauffassung war also bereits näher am Islam und der Schritt nicht weit.

MM: Wie kam es zu Ihrem gerade frisch veröffentlichten Buch "Islam, Geld und Wohlstand - Ein Handbuch über Finanzen und Vorsorge"?

Gassner: Bereits 2007 habe ich ein Fachbuch für Banker veröffentlicht. Seinerzeit wäre ein Buch für Muslime etwas frustrierend – in Kurzform alles "haram" aber überhaupt gar keine Lösungen. Daher der Gedanke zuerst die Finanzwelt in deutscher Sprache zu erklären, worum es bei den Produkten geht. Nachdem erste Finanzprodukte und eine Bank in Deutschland gegründet waren, ist die Bedeutung der Finanzbildung nun wichtig – warum, wieso und wie das Thema Geld und Finanzen als Muslim angehen? Finanzbildung ist die große Lücke weltweit, ob Muslim oder nicht. Schulen bieten nur wenig Hilfestellung.

MM: Das erste Kapitel Ihres Buches beschreibt die Zerstörungskraft des Zinses und endet sogar mit Hinweisen an die Politik, welche Argumente sollte ein Muslim diesbezüglich unbedingt kennen?

Gassner: Exponentialwachstum von Schulden kann nicht funktionieren, hier stimmen meist auch Nichtmuslime zu. Was wenig verstanden wird, ist dass der Geldzins zu Zinseszins und Exponentialwachstum führt, das Wesen des Geldzinses ist speziell. Miete oder Abzahlungskauf haben ebenso Finanzierungskosten, die für die meisten dem Zins gleichen. Allerdings steigen diese bei Zahlungsverzug nicht exponentiell, also wie in Sura 3:130 ausgeführt „idafa mudafa“. Hier müssen wir aufpassen. Es ist mir ein Rätsel, warum die Religionen das immer verstanden haben und die Volkswirtschaftslehre einfach ignoriert und sich nur am Marxismus abarbeitete.

MM: Das zweite Kapitel trägt den überraschenden Untertitel: Deutschland als Geburtsort des Islamic Finance. Zwar ist einstmals der zweite jemals gedruckte Koran in Hamburg gedruckt worden, aber ist das mit dem islamischen Banksystem aus Deutschland ernst gemeint?

Gassner: Vielleicht etwas provokativ formuliert, aber durchaus korrekt: Ahmed El Naggar hatte in Köln studiert, geheiratet und die deutschen Sparkassen kennengelernt. Dieses Modell - islamische angepasst - hat er dann in Ägypten umgesetzt im Mit Ghamr Bank Projekt. Sehr erfolgreich aufgebaut und heute noch das Vorbild und der Startpunkt der weltweiten Islamic finance Bewegung: Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Ägypten.

MM: Sie geben im Buch auch Hinweise auf eine geplante Vorsorge für das Alter. Sind solche Hinweise in derart unsicheren Zeiten, wie sie aktuell die Welt erschüttern, realisierbar?

Gassner: Natawakal ala Allah. Die Zeiten sind immer unsicher und eine Prüfung, das hat Methode. Wir tun, was wir können, und vertrauen dann auf den Einen.

MM: In Ihrem Buch werden auch Immobilienfinanzierungen vorgestellt, wie sie z.B. die KT-Bank vergibt. Worin bestehenden Hauptprobleme für eine islamische Finanzierung in diesem Bereich und was sind die Vorteile?

Gassner: Die große Hürde ist die doppelte Grunderwerbssteuer und die Haftung, erst kauft die Bank und dann vermietet oder verkauft die Bank ganz oder teilweise die Immobilie. Bei einem Hypothekendarlehen kauft der Kunde die Immobilie direkt in seinem Namen. Um die Grunderwerbssteuer legal zu vermeiden, wird der Papierkram umständlich und schwer verständlich. Die Bank trägt auch höhere Risiken und kann durchaus verklagt werden, wenn jemand Schaden durch die Immobilie erlitten hat (z.B. Baumängel, Verletzung). Immobilienfinanzierung ist am meisten nachgefragt und am schwierigsten islamisch anzubieten – die Marge für die Banken ist sehr klein und die Markteintrittsbarriere für kostengünstige Alternativen sehr hoch.

MM: Zwar wird durch die genannten Probleme der Kredit am Ende vielleicht sogar teurer bei der islamischen Bank als bei einem konventionellen Hypothekendarlehen, insbesondere bei den aktuell sehr niedrigen Zinsen, aber dennoch gibt es einen prinzipiellen Unterschied, dass im islamischen Fall der abbezahlte Anteil dem Käufer gehört, hingegen in den ersten Jahren des Abzahlens bei einem Zinskredit fast gar nichts dem Käufer gehört. Wie kann man das anschaulich erläutern?

Gassner: Das kommt immer auf die Ausgestaltung an. Bei einer Murabaha Finanzierung oder Bankdarlehen gehört die Immobilie zwar dem Kunden, sie dient aber gleichzeitig als Sicherheit. Ein zentraler Unterschied ist aber, dass die Bank ein höhere Haftungsrisiko beim Murabaha Modell hat als beim Bankdarlehen. Ein Beispiel: Wurde eine sogenannte Schrottimmobilie erworben, deren tatsächlicher Wert weniger ist, muss das Darlehen zurückgezahlt werden ohne Einschränkung, im islamischen Modell kann der Verlust bei der Bank haften bleiben, denn diese muss als vorhergehender Eigentümer ebenfalls sich der Werthaltigkeit vergewissern.

MM: Obwohl Ihr Buch vor allem an deutschsprachige Muslime gerichtet ist, wirkt der Inhalt so, als wenn auch ein so wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland von einem islamischen Finanzsystem profitieren könnte. Können Sie das etwas erläutern?

Gassner: Weltweit steigen die Schulden exponentiell, auch Deutschland kann die Null bei der Neuverschuldung nur selten erreichen, ein Minus (gleich Schuldenabbau) ist nahezu ausgeschlossen. Erst wenn Beteiligungs- und Kreditfinanzierung gleichberechtigt werden, kann sich daran etwas ändern – heute ist jedes Wirtschaftswachstum durch Kredit finanziert. Kein Kreditwachstum, kein Wirtschaftswachstum. Wenn wir aufhören Schulden zu bevorzugen, durch Reformen des Steuerrechtes (Zinsaufwand steuerlich abzugsfähig, Dividende nicht), und der Bankenaufsicht (Risikogewichtung in Basel 2 für Eigenkapital bei 400%), erst dann kann Wirtschaftswachstum nachhaltig werden.

MM: Was empfehlen Sie Bürgern, die noch nicht Ihr Buch gelesen haben, in die Privatinsolvenz gefallen sind und jetzt neu anfangen müssen außer Ihr Buch zu lesen?

Gassner: Nicht den Kopf hängen lassen, Briefe öffnen, sortieren, alle Gläubiger auflisten, ein Haushaltsbuch führen und sich bei einer Schuldnerberatung über die Optionen informieren, wie man da rauskommt. Der Unternehmer Frank Thelen steht dazu und ist dennoch Multimillionär geworden. Es ist eine Prüfung, kein Ende.

MM: Welche Projekte wollen Sie nach diesem Buch verwirklichen?

Gassner: Zunächst ist eine internationale Ausgabe in Englisch geplant und eventuell Übersetzungen in Bosnisch und Türkisch. Generell ist der wichtigste Aspekt heute im Islamic finance, dass die Kunden Finanzthemen verstehen, das richtige nachfragen und so durch ihren Bedarf die Entwicklung der Branche steuern.

MM: Herr Gassner wir danken für das Interview.

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