MM: Sehr geehrter Gassner, Ihr Buch beginnt mit
der Vorstellung des chinesisch-islamischen Kalligrafen, dessen Kalligrafie
den Umschlag ziert, das Vorwort beginnt mit einem Gedicht Goethes über den
Islam und die Danksagung mit "Alhamdulillah" (Die Dankbarkeit ist Allahs).
Insofern erlauben wir uns die Frage, sie Sie sicherlich schon hunderte Male
erhalten haben: Wie sind Sie zum Islam gekommen?
Gassner: Ursprünglich begann ich Arabisch zu
lernen als Zusatzqualifikation. Da aber die Araber keine kurzen Vokale
schreiben, sondern nur „Vkl“ und den Rest muss man wissen, ist das Lesen
üben sehr erschwert – nur Kinderbücher und der Quran sind voll vokalisiert.
Daher kaufte ich im ersten Kurs den Quran und habe mich begleitend zur
Sprache auch über Religion und Kultur informiert. Schwierigkeiten hatte ich
dann mit der Dreieinigkeitslehre – mir war gar nicht bewusst, dass
Protestanten daran glauben. Meine Glaubensauffassung war also bereits näher
am Islam und der Schritt nicht weit.
MM: Wie kam es zu Ihrem gerade frisch
veröffentlichten Buch "Islam, Geld und Wohlstand - Ein Handbuch über
Finanzen und Vorsorge"?
Gassner: Bereits 2007 habe ich ein Fachbuch für
Banker veröffentlicht. Seinerzeit wäre ein Buch für Muslime etwas
frustrierend – in Kurzform alles "haram" aber überhaupt gar keine Lösungen.
Daher der Gedanke zuerst die Finanzwelt in deutscher Sprache zu erklären,
worum es bei den Produkten geht. Nachdem erste Finanzprodukte und eine Bank
in Deutschland gegründet waren, ist die Bedeutung der Finanzbildung nun
wichtig – warum, wieso und wie das Thema Geld und Finanzen als Muslim
angehen? Finanzbildung ist die große Lücke weltweit, ob Muslim oder nicht.
Schulen bieten nur wenig Hilfestellung.
MM: Das erste Kapitel Ihres Buches beschreibt
die Zerstörungskraft des Zinses und endet sogar mit Hinweisen an die
Politik, welche Argumente sollte ein Muslim diesbezüglich unbedingt kennen?
Gassner: Exponentialwachstum von Schulden
kann nicht funktionieren, hier stimmen meist auch Nichtmuslime zu. Was wenig
verstanden wird, ist dass der Geldzins zu Zinseszins und Exponentialwachstum
führt, das Wesen des Geldzinses ist speziell. Miete oder Abzahlungskauf
haben ebenso Finanzierungskosten, die für die meisten dem Zins gleichen.
Allerdings steigen diese bei Zahlungsverzug nicht exponentiell, also wie in
Sura 3:130 ausgeführt „idafa mudafa“. Hier müssen wir aufpassen. Es ist mir
ein Rätsel, warum die Religionen das immer verstanden haben und die
Volkswirtschaftslehre einfach ignoriert und sich nur am Marxismus
abarbeitete.
MM: Das zweite Kapitel trägt den überraschenden
Untertitel: Deutschland als Geburtsort des Islamic Finance. Zwar ist
einstmals der zweite jemals gedruckte Koran in Hamburg gedruckt worden, aber
ist das mit dem islamischen Banksystem aus Deutschland ernst gemeint?
Gassner: Vielleicht etwas provokativ
formuliert, aber durchaus korrekt: Ahmed El Naggar hatte in Köln studiert,
geheiratet und die deutschen Sparkassen kennengelernt. Dieses Modell -
islamische angepasst - hat er dann in Ägypten umgesetzt im Mit Ghamr Bank
Projekt. Sehr erfolgreich aufgebaut und heute noch das Vorbild und der
Startpunkt der weltweiten Islamic finance Bewegung: Geboren in Deutschland,
aufgewachsen in Ägypten.
MM: Sie geben im Buch auch Hinweise auf eine
geplante Vorsorge für das Alter. Sind solche Hinweise in derart unsicheren
Zeiten, wie sie aktuell die Welt erschüttern, realisierbar?
Gassner: Natawakal ala Allah. Die Zeiten
sind immer unsicher und eine Prüfung, das hat Methode. Wir tun, was wir
können, und vertrauen dann auf den Einen.
MM: In Ihrem Buch werden auch
Immobilienfinanzierungen vorgestellt, wie sie z.B. die KT-Bank vergibt.
Worin bestehenden Hauptprobleme für eine islamische Finanzierung in diesem
Bereich und was sind die Vorteile?
Gassner: Die große Hürde ist die doppelte
Grunderwerbssteuer und die Haftung, erst kauft die Bank und dann vermietet
oder verkauft die Bank ganz oder teilweise die Immobilie. Bei einem
Hypothekendarlehen kauft der Kunde die Immobilie direkt in seinem Namen. Um
die Grunderwerbssteuer legal zu vermeiden, wird der Papierkram umständlich
und schwer verständlich. Die Bank trägt auch höhere Risiken und kann
durchaus verklagt werden, wenn jemand Schaden durch die Immobilie erlitten
hat (z.B. Baumängel, Verletzung). Immobilienfinanzierung ist am meisten
nachgefragt und am schwierigsten islamisch anzubieten – die Marge für die
Banken ist sehr klein und die Markteintrittsbarriere für kostengünstige
Alternativen sehr hoch.
MM: Zwar wird durch die genannten Probleme der
Kredit am Ende vielleicht sogar teurer bei der islamischen Bank als bei
einem konventionellen Hypothekendarlehen, insbesondere bei den aktuell sehr
niedrigen Zinsen, aber dennoch gibt es einen prinzipiellen Unterschied, dass
im islamischen Fall der abbezahlte Anteil dem Käufer gehört, hingegen in den
ersten Jahren des Abzahlens bei einem Zinskredit fast gar nichts dem Käufer
gehört. Wie kann man das anschaulich erläutern?
Gassner: Das kommt immer auf die
Ausgestaltung an. Bei einer Murabaha Finanzierung oder Bankdarlehen gehört
die Immobilie zwar dem Kunden, sie dient aber gleichzeitig als Sicherheit.
Ein zentraler Unterschied ist aber, dass die Bank ein höhere Haftungsrisiko
beim Murabaha Modell hat als beim Bankdarlehen. Ein Beispiel: Wurde eine
sogenannte Schrottimmobilie erworben, deren tatsächlicher Wert weniger ist,
muss das Darlehen zurückgezahlt werden ohne Einschränkung, im islamischen
Modell kann der Verlust bei der Bank haften bleiben, denn diese muss als
vorhergehender Eigentümer ebenfalls sich der Werthaltigkeit vergewissern.
MM: Obwohl Ihr Buch vor allem an
deutschsprachige Muslime gerichtet ist, wirkt der Inhalt so, als wenn auch
ein so wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland von einem islamischen
Finanzsystem profitieren könnte. Können Sie das etwas erläutern?
Gassner: Weltweit steigen die Schulden
exponentiell, auch Deutschland kann die Null bei der Neuverschuldung nur
selten erreichen, ein Minus (gleich Schuldenabbau) ist nahezu
ausgeschlossen. Erst wenn Beteiligungs- und Kreditfinanzierung
gleichberechtigt werden, kann sich daran etwas ändern – heute ist jedes
Wirtschaftswachstum durch Kredit finanziert. Kein Kreditwachstum, kein
Wirtschaftswachstum. Wenn wir aufhören Schulden zu bevorzugen, durch
Reformen des Steuerrechtes (Zinsaufwand steuerlich abzugsfähig, Dividende
nicht), und der Bankenaufsicht (Risikogewichtung in Basel 2 für Eigenkapital
bei 400%), erst dann kann Wirtschaftswachstum nachhaltig werden.
MM: Was empfehlen Sie Bürgern, die noch nicht
Ihr Buch gelesen haben, in die Privatinsolvenz gefallen sind und jetzt neu
anfangen müssen außer Ihr Buch zu lesen?
Gassner: Nicht den Kopf hängen lassen,
Briefe öffnen, sortieren, alle Gläubiger auflisten, ein Haushaltsbuch führen
und sich bei einer Schuldnerberatung über die Optionen informieren, wie man
da rauskommt. Der Unternehmer Frank Thelen steht dazu und ist dennoch
Multimillionär geworden. Es ist eine Prüfung, kein Ende.
MM: Welche Projekte wollen Sie nach diesem Buch
verwirklichen?
Gassner: Zunächst ist eine internationale
Ausgabe in Englisch geplant und eventuell Übersetzungen in Bosnisch und
Türkisch. Generell ist der wichtigste Aspekt heute im Islamic finance, dass
die Kunden Finanzthemen verstehen, das richtige nachfragen und so durch
ihren Bedarf die Entwicklung der Branche steuern.
MM: Herr Gassner wir danken für das Interview. |