Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Alina Lipp
 

Muslim-Markt interviewt
Alina Lipp - Betreiberin des Telegram Kanals "Neues aus Russland"
23.4.2022

Alina Lipp (Jahrgang 1993) ist als Tochter eines russischen Vaters und einer deutschen Mutter in Hamburg geboren und wuchs in einer Kleinstadt in Norddeutschland auf.

Nach dem Abitur reiste Alina mit 18 Jahren das erste Mal für längere Zeit nach Russland und begann Russisch zu lernen. Zurück in Deutschland begann sie sich politisch in der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu engagieren. Derweil schloss sie ihr Studium mit Bachelor in „Umweltsicherung“, wofür sie auf der Krim geforscht hatte, und Master in „Nachhaltigkeitswissenschaften“ ab. Die Haltung ihrer Partei zu Russland führte zu einer zunehmenden Entfremdung und später Austritt. 2018 wanderte ihr Vater auf die Krim aus, um ein neues Leben als Selbstversorger zu gestalten. Das war für Alina Lipp im Jahr 2019 die Gelegenheit ihren YouTube-Kanal „Glücklich auf der Krim“ zu starten, der ihre berufliche Qualifikation mit ihrer Liebe zu Russland und der Familie verband. 2020 folgte der Kanal „DruschbaFM“ zusammen mit Journalist Sergey Filbert. Seit 2021 berichtet Sie als Telegram-Influencerin eine alternative Sichtweise zu dem Konflikt zunächst in der Ostukraine und inzwischen zum Gesamtkonflikt zwischen der Westlichen Welt und Russland. Ihr Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ hat über 115.000 Follower.

MM: Sehr geehrte Frau Lipp, Sind Sie Putins deutsche Infokriegerin, wie es in Deutschland heißt, sind Sie ihm schon einmal begegnet, und zahlt er gut?

Lipp: Na klar, wir sehen uns fast jeden Tag und er steckt mir dann immer wieder mal Geldbündel in die Tasche. Man verdient ziemlich gut als Infokriegerin! Ganz im Ernst: Es ist eine so unkreative und ermüdende Anschuldigung, mich als bezahlte Marionette des Kremls darzustellen. Die, die mich kennen oder seit Jahren im Internet verfolgen, wissen, dass ich immer nur mein eigenes Ding mache. In den Donbass bin ich im Sommer 2021 aus eigener Initiative und aus reiner Neugier gefahren. Dort kam ich zu der Erkenntnis, dass die deutschen Medien darüber schweigen, wie ukrainische Nationalisten seit acht Jahren auf Zivilisten der Donbassrepubliken schießen. Es gibt hier keine Korrespondenten der großen deutschen Medien vor Ort, weshalb sie ausschließlich nur die ukrainische Sichtweise zeigen. Ich habe daher entschlossen zu bleiben und diese Informationslücke zu füllen. Finanzieren tue ich mich ausschließlich aus Spenden.

MM: Obwohl noch vor wenigen Monate kaum ein Deutscher wusste, wo Lugansk liegt, haben wir jetzt rund 80 Millionen Ukraine-Experten, die neben der Anklage gegen Russland auch den Richterspruch bereit halten, ohne dass der Angeklagte jemals zu Wort kommt. Unter welchen Arbeitsbedingungen versuchen Sie die Informationen zu verbreiten, die viele Deutsche kaum erfahren?

Lipp: Ganz konkret: Ich lebe nun insgesamt ein halbes Jahr in Donezk und es vergeht kein Tag, an dem die ukrainische Seite nicht auf die Stadt schießt. Mal sind die Schüsse näher, mal weiter entfernt - ständig horcht man, wie nah der Einschlag dieses Mal gewesen ist. Manchmal werde ich mit Herzrasen aus dem Schlaf gerissen, wenn durch die Druckwellen sogar die Fenster wackeln. Ich war den ganzen Winter hier, draußen und drinnen war es sehr kalt. Seit einem Monat habe ich keine Heizung in der Wohnung und nur einmal pro Tag ein paar Stunden Wasser. In Mariupol bin ich unter Beschuss geraten und neulich noch einmal an der Front im Schützengraben. Ich weiß nicht, ob jemand all dies freiwillig für Geld auf sich nehmen würde. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb ich die einzige deutsche Journalistin hier bin – ich arbeite nicht für ein Gehalt, sondern weil ich es falsch finde, dass das Leid der Donbassbevölkerung im Westen nicht gehört wird. Und ich bin scheinbar die Einzige, die bereit dazu ist, das zu ändern. Ich würde mich freuen, wenn die 80 Mio. deutschen Ukraine-Experten für eine differenzierte Meinung auch einmal hierherkommen würden. Man kann kein richtiger Experte oder Journalist sein, wenn man nur eine Seite betrachtet.

MM: Für die meisten Deutschen hat der Krieg in der Region mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine begonnen. Warum dauert er für die Russen schon mehrere Jahre länger?

Lipp: 2014 hat in der Ukraine eine nationalistische, anti-russische Regierung illegal die Macht ergriffen und damit angefangen, den russischsprachigen Teil der Bevölkerung zu diskriminieren und im Donbass sogar umzubringen. In den letzten Jahren wurden Sprachen- und Rassegesetze verabschiedet, die den russischsprachigen Teil der ukrainischen Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse gemacht hat: Behörden und Dienstleister (Friseure, Supermärkte, Cafés etc.) dürfen Russisch als Sprache im Wesentlichen nicht mehr verwenden. Durch das Rassengesetz „über die einheimischen Völker“ werden die Bürger der Ukraine nach völkischen Kriterien in drei Kategorien eingeteilt, die unterschiedliche Rechte haben - Russen gehören zur letzten Kategorie. Außerdem gibt es staatlich subventionierte Ferienlager, in denen Kinder lernen, dass man „russische Untermenschen“ erschießen muss (siehe Bericht in euronews 2018). Das rechtsradikale Asow-Regiment ist offiziell in die ukrainische Armee eingegliedert worden und untersteht damit direkt dem Verteidigungsministerium. Auf Befehl der Regierung hin beschießen Asow-Kämpfer und reguläre Soldaten seit 2014 die Donbassbevölkerung mit Artillerie – einfach dafür, weil sie sich nicht von ihren russischen Wurzeln lossagen wollen. Viele hier sprechen noch nicht einmal Ukrainisch. All dies spielt sich unmittelbar an Russlands Grenzen ab, weshalb der Konflikt dort logischerweise nicht erst seit diesem Jahr diskutiert wird.

MM: Gegen die geballte Macht und Propaganda-Erfahrung der Westlichen Medien, die Ihre Glaubwürdigkeit auch aufgrund Ihres Einsatzes im Querdenkerbereich mit allen Mitteln zu untergraben versuchen, wirken Ihre sachlichen Infos bestenfalls wie Nadelstiche. Was motiviert sie unter solch schwierigen Bedingungen weiterzumachen?

Lipp: Die westlichen Medien arbeiten seit Längerem mit der sogenannten Kontaktschuld, um Menschen zu diskreditieren. So ist es mittlerweile rufschädigend, mit einer Person zu sprechen, die dem öffentlichen Narrativ widerspricht, oder einmal auf einer Demo anwesend zu sein, um sich ein eigenes Bild davon zu machen. Aber wo kommen wir hin, wenn wir uns nicht mehr die gegenteilige Meinung anhören? Wo bleibt da die Objektivität? Gerade Journalisten haben eigentlich die Pflicht, sich immer beide Seiten anzusehen. Doch in meinem, wie auch in anderen Fällen, wird einfach über mich gesprochen, statt mit mir. Dass meine Arbeit nicht nur wie Nadelstiche wirkt, zeigt die Tatsache, dass mittlerweile alle großen deutschen Zeitungen über mich geschrieben haben. Ich werde gehört. Das teilen mir auch immer wieder meine Abonnenten mit, die sich bei mir dafür bedanken, ihnen oder ihren Bekannten „die Augen geöffnet“ zu haben. Das lässt mich weitermachen.

MM: Die Unterwanderung ukrainischer Behörden und Kampfverbände mit Nazigedankengut sollte eigentlich kein Geheimnis sein. Dennoch findet die Tatsache kein Gehör bei Westlichen Politikern. Wie wird die Situation in Russland empfunden?

Lipp: In Russland betrachtet man die aktuellen Ereignisse immer mehr wie eine Wiederholung des zweiten Weltkriegs. Besonders, wenn aus Deutschland wieder einmal berichtet wird, wie ein russischer Supermarkt beschädigt wird, russische Produkte aus dem Verkauf verbannt werden oder Russen der Zutritt zu Restaurants verweigert wird, fragt man sich hier, wo da der Unterschied zum damaligen deutschen Umgang mit Juden liegt. Man wertet die Ereignisse als Wiederaufkommen des Faschismus in Europa – nur diese Mal gegen Russen gerichtet, nicht gegen Juden. Und dies stellt logischerweise eine riesige Gefahr für Russland dar.

MM: Die Tatsache, dass der ukrainische Präsident ein Jude ist, wird hier als starkes Gegenargument genutzt, um eine mögliche Naziunterwanderung auszuschließen. Wie ist die Sichtweise dazu in Russland?

Lipp:  Ein „Nazi“ ist nicht immer automatisch ein „Antisemit“, sondern jemand, der radikale Ansichten über andere Menschengruppen, Ethnien etc. vertritt. Es geht in dem aktuellen Konflikt nicht um die Diskriminierung und Verfolgung von Juden, sondern um die Verfolgung von Russen. Aus diesem Grund ist die Aussage in Bezug auf Selenski kein starkes Gegenargument, sondern gar kein Argument.

MM: Im Westen ist immer wieder vom Krieg Putins die Rede. Wünschen sich alle anderen Russen Navalny, den Putin ja nicht so richtig töten konnte nach westlicher Denkweise?

Lipp: Interessant zu beobachten ist, dass derzeit viele der ehemals regierungskritischen Russen nun das Vorgehen der russischen Regierung unterstützen. Viele von ihnen, besonders die westlich orientierten Nawalny-Anhänger, sind von der russophoben Reaktion des Westens auf die Ereignisse beleidigt. Sie fragen sich, weshalb westliche Firmen ihren Verkauf und ihre Produktion in Russland einstellen und damit die russische Bevölkerung bestrafen – wo diese doch nichts für die Entscheidung ihrer Regierung kann. Ein weiterer Grund für die breite Unterstützung Putins ist zudem, dass in Russland - anders als im Westen - nicht über die Opfer der ukrainischen Nationalisten geschwiegen, sondern öffentlich diskutiert wird. Und wie kann man sich nicht mit Menschen solidarisieren, die aus ethnischen Gründen getötet, verstümmelt, vergewaltigt wurden? Viele finden es daher richtig, dass die Donbassbevölkerung nach acht Jahren Leid endlich Unterstützung erfährt.

MM: Es scheint als wenn die Eskalationsspirale kein Ende kennt. Was kann der Einzelne Bürger dazu beitragen, dass wir alle zurück zum Frieden finden?

Lipp: Wenn zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen und keine Informationen über die Politik des Herkunftslands seines Gegenübers besitzen, würden die allermeisten von ihnen garantiert ein sehr freundliches, interessantes Gespräch führen. Schauen wir uns unsere Kinder an: Ich selbst bin in der Grundschule in eine Klasse mit Türken, Kurden, Russen, Pakistanern, Aserbaidschanern und Deutschen gegangen. Jeder hat mit jedem gespielt, niemand hat auch nur eine Sekunde an ethnische Unterschiede gedacht. Das sollten wir uns alle bewusst machen.

MM: Frau Lipp, wir danken für das Interview und wünschen uns allen Frieden in Russland und der ganzen Ukraine.

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