Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Patrik Baab
 

Muslim-Markt interviewt
Patrik Baab - Politwissenschaftler, Investigativ-Journalist, Filmemacher und Autor von "Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung"
21.12.2023

Patrik Baab (Jahrgang) 195) hat Politische Wissenschaften (Abschluss B.A.), Deutsche Sprache und Literatur (Abschluss B.A.) studiert. Er war unter anderem ab 1984 freier Mitarbeiter beim Saarländischen Rundfunk. 1997 ist er zum NDR gewechselt und war viele Jahre Politikredakteur in Kiel. Seine Recherchereisen unter anderem nach Russland, Polen, Balkan, Afghanistan und UK führten zu zahlreichen Publikationen. Er war langjähriger Lehrbeauftragter für praktischen Journalismus an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und an der privaten Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin.

Sein neustes Buch "Auf beiden Seiten der Front - Meine Reisen in die Ukraine" vom Oktober 2023 geht auf zwei Reisen in die Ukraine zurück. Die erste erfolgte im Herbst 2021 in den Westteil des Landes, die zweite nach dem russischen Militäreinsatz in den russisch besetzten Donbass im Herbst 2022. Er ist allerdings nicht zu den Referenden in den Osten der Ukraine gereist, wie es fälschlicherweise behauptet wurde. Er war auch kein Wahlbeobachter, wie es ihm von manchen Medien vorgeworfen wird. Nur weil er an einer Pressekonferenz teilgenommen hat, an der auch Wahlbeobachter teilnahmen, wurde ihm der Vorwurf des Wahlbeobachters angedichtet. Diese verbreiteten Unwahrheiten gegen seine Person hatten berufliche Folgen. Da jene Referenden in der Westlichen Welt als "Scheinreferenden" artikuliert worden sind, wurde ihm sein Lehrauftrag an der Uni gekündigt, wogegen er sich gerichtlich zur Wehr gesetzt hat. In der Folge wurden ihm auch bereits zugesagte Auftritt verweigert.

Er hat zahlreiche weitere Bücher geschrieben, unter anderem 2022 das Buch: "Recherchieren. Ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung." Bereits 2017 war er zusammen mit Robert E. Harkavy Autor des Buches "Im Spinnennetz der Geheimdienste. Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?" Das Thema hat ihn über ein Jahrzehnt beschäftigt, denn bereits 2008 schrieb er: "„Nachrichtenfälscher“ und Verschwörungstheoretiker. Über den Umgang mit Quellen im Fall Barschel."

MM: Sehr geehrter Herr Baab. Wie wird aus einem bekannten und erfolgreichen Mainstream-Journalisten ein ausgestoßener Verschwörungstheoretiker?

Baab: Der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ ist ein denunziatorischer politischer Kampfbegriff ohne jeglichen analytischen Wert. Er hat zum Ziel, Andersdenkende aus dem demokratischen Debattenraum auszugrenzen. Das Ziel dieses Begriffes ist die Ächtung von Dissens. Dissens ist aber das Lebenselixier der Demokratie. Alle Neuerungen und Verbesserungen entstehen aus der Unzufriedenheit mit dem erlebten Zustand, also aus Dissens. Ohne Dissens gibt es keinen Fortschritt. Wer andere als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet, verzichtet auf intersubjektiv überprüfbare, rational nachvollziehbare Sachargumente und will den demokratischen Debattenraum zerstören. Er handelt also antidemokratisch und vertritt die Interessen der herrschenden Machteliten. Deshalb habe nicht ich mich verändert, sondern andere versuchen, eine staatstragende Position auf antidemokratische Weise durchzusetzen. Hier handelt es sich meist um Akademiker, die ihr Geld damit verdienen, den Mächtigen gegen Geld zu Diensten zu sein. Deshalb nennt sie der Dichter Bertolt Brecht auch „Kopflanger“. Wie ein Handlanger dem Facharbeiter die Werkzeuge reicht, so reichen akademische Kopflanger den Mächtigen ihre Rechtfertigungslügen. Der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ hat zum Ziel, von den tatsächlichen Problemen abzulenken, die Bevölkerung zu spalten und die eigene Herrschaft zu sichern.

MM: Was war Ihre Motivation zur Reise in den Donbass, wo sonst kaum westliche Journalisten zu finden sind und wenn doch, dann als Kollaborateure Putins gelten?

Baab: Ich habe die Ukraine bereist, weil ich dort Freunde habe. Die erste Reise führte mich im Herbst 2021 zu meinen Freunden in die Westukraine. Dort haben sie mich bei meinen Recherchen unterstützt. Dabei ist der Plan entstanden, im Folgejahr in den Donbass zu reisen. Denn ich folge der journalistischen Handwerksregel: Auch die andere Seite soll gehört werden. Allerdings kam der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Russischen Föderation dazwischen. Wir sahen keine Möglichkeit, durch die Front zu gelangen. Also habe ich einen anderen Reisebegleiter – Sergey Filbert – und eine andere Route gewählt: Über Russland in den Donbass. Damit gehöre ich – neben Régis Le Sommier aus Paris – zu den wenigen Journalisten, die auf beiden Seiten recherchiert haben. Genau deshalb wurde ich öffentlich an den Pranger gestellt und beruflich beschädigt. Während mein langjähriger Arbeitgeber – die ARD – noch im ersten Golfkrieg Anfang der 1990er Jahre mit Christoph Maria Fröhder einen ausgezeichneten Reporter in Bagdad hatte, also auf beiden Seiten vertreten war, verzichtet sie heute auf Reporter im Donbass. Dies leistet einer Anlehnung an ukrainische Propaganda und Nato-Narrative Vorschub. Die deutschen Medien verzichten weitgehend darauf, sich mit der russischen Seite im Donbass zu beschäftigen. Damit machen sie sich selbst zum willigen Werkzeug westlicher Propaganda. Alleine schon deshalb muss jeder als „Putin-Versteher“ diskreditiert werden, der auch die andere Seite hört. Nicht ich habe handwerkliche Fehler gemacht; die Presse selbst verletzt ihre eigenen Handwerksregeln.

MM: Eigentlich sollte man sich immer auch dadurch ein gerechtes Bild verschaffen, idem man beide Seiten eines Konfliktes gleichberechtigt anhört. Was ist geschehen, dass die Öffentlich-Rechtlichen heutzutage ein Narrativ festlegen und die Gegenseite kaum noch zu Wort kommen lassen?

Baab: Baab: In drei völkerrechtswidrigen Angriffskriegen – Serbien und Kosovo 1999 bei der KFOR, in Afghanistan 2002 bei der ISAF und im Krieg in der Ukraine bei den Organisatoren im Donbass – habe ich an Pressekonferenzen und Briefings der Besatzungsbehörden teilgenommen. Dabei habe ich auch selbst das Wort ergriffen und meine Eindrücke erläutert, beispielsweise mit Blick auf die Minenlage, die Gefahren von Feuereinwirkung an bereisten Orten oder die Stimmung in der Bevölkerung.

Die britische Reporterin Elizabeth Wiskemann hat 1936 über die Propaganda der Nazis im Danziger Korridor berichtet. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie mache mit der SA oder der SS gemeinsame Sache. Die University of Edinburgh ehrt sie heute als Kriegsheldin. Die Kriegsberichterstatterin Martha Gellhorn arbeitete während des Zweiten Weltkriegs „embedded“ in die US-Streitkräfte im Rang eines Hauptmanns. Niemand hat ihr jemals vorgeworfen, sie habe sich von der US-Armee instrumentalisieren lassen. Peter Scholl-Latour hat im Vietnamkrieg 1973 auf der Seite des Vietkongs gedreht. Niemand hat ihm vorgehalten, er verbreite kommunistische Propaganda.

An Pressekonferenzen teilzunehmen, Informationen auszutauschen, auch über die Stimmung in der Bevölkerung, ist in einem Kriegsgebiet eine Überlebensfrage. Deshalb rede ich auch mit Russen. Als Journalist rede ich ständig mit Menschen, die anderer Herkunft oder anderer Meinung sind. Das ist Kern meiner Arbeit. Damit mache ich mich nicht mit ihnen gemein. So werden Informationen recherchiert.

Neu ist, dass Schreibtischbewohner in Redaktionen und Akademien, die von der Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten und den betroffenen Ländern keine Ahnung haben und sich ausrechnen können, dass sie selbst nie an der Front landen, aus der Komfortzone heraus Reportern im Kriegsgebiet in den Rücken fallen und sie damit zusätzlichen Gefahren aussetzen. Dies zeigt, in welchem Maß im heutigen Journalismus ethische Maßstäbe missachtet werden, wie weit sich die Berichterstattung von der Realitätsprobe vor Ort hin zum postfaktischen Skandalisieren verschoben hat und wie tief die Berichterstattung der Mainstream-Medien, auch der öffentlich-rechtlichen, in das Propagandasystem der NATO verstrickt ist.

MM: Die Folgen ihrer Reisen und der anschließenden öffentlichen Verurteilung Ihrer Person beruhend auf falschen Tatsachenbehauptungen waren ja nicht nur der Verlust des Lehrauftrages an der Uni, sondern auch fehlende Aufträge der etablierten Medien. Hat sich das rückblickend gelohnt?

Baab: Man hat tatsächlich versucht, meine berufliche Existenz zu vernichten. Aber das ist nicht gelungen. Denn ich bin finanziell völlig unabhängig. Deshalb nehme ich von niemandem Weisungen entgegen, weder aus Moskau noch aus Berlin oder Washington. Mit meiner klaren Haltung habe ich vielen jungen Journalistinnen und Journalisten der alternativen Medien ein Beispiel gegeben, wie man so etwas macht, während die angepassten Journalisten der Mainstream-Medien als das dastehen, was sie sind: angepasste Figuren, die sich nicht entblöden, NATO-Propaganda zu verbreiten statt mit dem eigenen Kopf zu denken und im Wege der Recherche den Dingen auf den Grund zu gehen. Und noch etwas: Bei vielen Lesungen und Diskussionen in ganz Deutschland, von Uckermünde bis München, habe ich festgestellt: Die öffentliche Meinung der Bevölkerung steht der veröffentlichten Meinung der Presse diametral gegenüber. Hier wird deutlich, dass die Presse gegen die Interessen und die Meinung der Bevölkerung anschreibt. Der bekannte Reporter Peter Scholl-Latour hat 2014 gesagt: „Wenn Sie sich einmal anschauen, wie einseitig die hiesigen Medien, von taz bis Welt, über die Ereignisse in der Ukraine berichten, dann kann man wirklich von einer Desinformation in großem Stil sprechen, flankiert von den technischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, dann kann man nur feststellen, die Globalisierung hat in der Medienwelt zu einer betrüblichen Provinzialisierung geführt“ (Quelle Telepolis).

Dies kann ich nur bestätigen. Deshalb erscheint es mir klug, sich zunächst in die Geschichte des Konflikts im Donbass und der Ukraine einzuarbeiten. Stattdessen betreiben Medien wie der MDR, 3sat und die Sächsische Zeitung die Ächtung von Dissens. Dissens aber ist das Lebenselixier der Demokratie. Ohne Dissens gibt es keinen Fortschritt. Die Staatshörigkeit und der antidemokratische Verfolgungsdruck, den die Mainstream-Medien gegen Mahner und Warner wie Prof. Dr. Ulrike Guérot, Prof. Dr. Michael Meyen, Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz oder mich entfalten, zeigt, dass der demokratische Debattenraum genau da zerstört wird, wo man Hoffnung auf seine Verteidigung haben sollte: in akademischen und journalistischen Kreisen. Dies zeigt auch, dass eine Regierung sehr lange gegen den Friedenswillen des eigenen Volkes anregieren kann, wenn die Presse zum Werkzeug staatlicher Propaganda degeneriert ist.

MM: Sie haben erfolgreich gegen den Verlust des Lehrauftrages geklagt. Zwar haben Sie juristisch gewonnen, aber was nützt das jetzt?

Baab: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein gehört zu den wenigen Urteilen, die klar im Sinne des Grundgesetzes gesprochen wurden. Entgegen den Hinweisen von Seiten der Propaganda-Medien steht in der Urteilsbegründung deutlich, dass man einen Journalisten nach der in Art 5 Grundgesetz festgelegten Meinungs- und Informationsfreiheit nicht dafür bestrafen dürfe, dass er seine Arbeit macht. Der Kammer war klar, dass hier Grundrechte abgewogen werden. Die Universität Kiel hat darauf verzichtet, die nächste Instanz anzurufen, damit ist das Urteil rechtskräftig. Man darf aber vermuten, dass die Universität Kiel ein Grundsatzurteil vermeiden wollte. Der Grund liegt auf der Hand: Nach einer aktuellen Studie gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz mindestens 50 Professoren, die in den vergangenen vier Jahren aufgrund von der Staatslinie abweichenden Meinungen relegiert worden sind – in allen Fällen unter Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren. Wir reden hier nur von ordentlichen Professoren. Rechnet man den akademischen Mittelbau und die Lehrbeauftragten dazu, dann käme man wohl auf hunderte, wenn nicht tausende Fälle. Mit einem Grundsatzurteil beispielsweise des Bundesverwaltungsgerichts hätte die Praxis beendet werden müssen, die Universitäten von „Dissidenten“ systematisch zu säubern. Hier geht es immer darum, dass die den Machteliten ergebenen akademischen Kräfte ein Exempel statuieren wollen, um durch die Erzeugung von Angst bei Anderen vorauseilenden Gehorsam zu erzwingen. Genau hier liegt der Nutzen des Gerichtsurteils: Das Urteil stärkt den Glauben an die Verfassung und damit den Rechtsstaat. Und es stärkt unseren Glauben. Mohammed predigt den Menschen, auf Allah zu vertrauen und keine Angst zu haben. Auch in der Bibel ist der häufigste Satz des Neuen Testamentes: „Fürchtet Euch nicht!“ Die Angst ist es, vor der wir uns fürchten müssen.

MM: Die herrschende Meinung hat Sie insbesondere im Fall der Ukraine getroffen. Aber ähnliche Mechanismen scheinen auch bei Corona, Klima, Palästina und anderen Themen vorzuherrschen. Wie kann Ihr "Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung" hilfreich sein, mit der herrschenden Meinung umzugehen?

Baab: In meinem Buch schreibe ich, dass Recherchieren ein oppositionelles Konzept darstellt. Wir recherchieren, um Missstände öffentlich zu machen und damit den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Das ist in allen Ländern und in allen Konflikten wichtig. Dass die Machteliten eingehegt werden müssen, hat mit unserer jahrhundertelangen Erfahrung mit dem Missbrauch von Macht zu tun. Wenn die Mächtigen dazu neigen, ihre Macht zu missbrauchen, dann muss ihre Macht begrenzt, es müssen ihr Zügel angelegt werden. Wenn wir Karl Marx lesen, dann finden wir den Hinweis, dass die herrschende Meinung immer auch die Meinung der Herrschenden ist. Deshalb müssen wir auch skeptisch und wachsam sein, was die herrschende Meinung betrifft. Sie ist durchsetzt von der Propaganda der Mächtigen, das Volk kommt ja meist nicht zu Wort. Es sind die antidemokratischen Kräfte, die uns vorschreiben wollen, was wir zu denken haben, und dazu setzen sie alle ideologischen Staatsapparate ein, die sie zur Verfügung haben. Die Schulen sollen uns zu folgsamen Staatsbürgern machen; in Universitäten werden die Theorien gelehrt, die den Mächtigen nützlich sind, und andere in den Hintergrund gedrängt; in den Medien hören wir, dass wir Opfer bringen sollen für den Krieg, und wir hören es von Leuten, die nie im Krieg waren und die Welt aus dem zivilisatorischen Schonraum ihrer Schreibtische beurteilen. Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. Denn die Völker wollen keinen Krieg, sondern Frieden, in der Ukraine, in Palästina, überall in der Welt. Immer sind es die Mächtigen, die Kriege anzetteln und die armen Schweine darin verbluten lassen.

MM: Rückwirkend betrachtet waren Sie ja auch schon zuvor ein "Verschwörungstheoretiker". Denn allein der Titel ihres Buches "Im Spinnennetz der Geheimdienste. Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?" deutet darauf hin, dass Sie die herrschende Meinung hinterfragen. Warum waren damals die Reaktionen nicht so heftig wie heute?

Baab: Damals haben die Mainstream-Medien versucht, das Buch einfach wegzuschweigen. Deshalb habe ich mit den sogenannten Alternativen Medien Interviews dazu gemacht. Das hat man mir übelgenommen. Aber heute hat sich die Situation verschärft. Das zeigt, dass die bundesdeutsche Demokratie in einer ernsten Krise ist, sie degeneriert immer mehr zu einer Fassadendemokratie, in der die Machteliten tun, was sie wollen, das Volk aber nur noch scheinbar etwas zu sagen hat. Diese Transformation der Demokratie ist in der Fachwelt vielfach beschrieben worden. Der britische Soziologe Colin Crouch spricht von „Post-Demokratie“. Heute sind die Versuche, Dissidenten auszugrenzen und ihre Existenz zu vernichten, so stark wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die parlamentarische Demokratie in Deutschland hat ein ernstes Problem.

MM: Bereits 1985 haben Sie die Krise der Parteiendemokratie vorhergesagt. Was müsste sich heute ändern, damit wir aus dem Dauerkrisenmodus heraustreten können?

Baab: Sie haben gut recherchiert. Was heute fehlt, ist eine außerparlamentarische Opposition, die den Politikern des herrschenden Parteien-Kartells deutlich macht, dass sie wieder nach dem Friedensgebot des Grundgesetzes handeln müssen. Solange es diesen Druck der Straße nicht gibt, werden die Mächtigen nicht nachlassen im Versuch, das Land immer tiefer in den Ukraine-Krieg hineinzuziehen und das Land wirtschaftlich vollständig zu ruinieren. Neulich hatte ich hier in Berlin an einer Tagung teilgenommen. Es handelte sich um sozialdemokratische Politiker. Sie sprachen mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Rezession von „produktiver Zerstörung“, wie sie der Ökonom Joseph Schumpeter beschrieben hat. Aber Schumpeter sprach von dem Wandel der Betriebe und der Volkswirtschaft zu neuen Technologien, während heute die deutsche Wirtschaft die Abwanderung von Betrieben und einen Prozess der De-Industrialisierung erlebt. Diese Politiker verstehen nicht, was wirklich geschieht: Die deutsche Wirtschaft schrumpft, weil die Sanktionen gegen Russland wie ein Boomerang wirken. Unternehmen wandern ab, weil sie hier nicht mehr profitabel arbeiten können. Deutschland gerät in den Windschatten der ökonomischen Entwicklung, weil die Regierung dem Kurs der USA zur Abgrenzung von China folgt, statt die Chancen des chinesischen Marktes zu nutzen. Als Konjunktur-Lokomotive Europas fällt Deutschland zunehmend aus. Damit ist der ökonomische Selbstmord Europas eingeleitet. Gleichzeitig hat die Ampelkoalition einen Angriff auf den Wohlstand der Bevölkerung gestartet, mit hohen Energie- und Verbraucherpreisen, mit sinkenden Reallöhnen. Aber solange der deutsche Michel weiterschläft, wird sich daran nichts ändern.

MM: Trauen Sie sich auch an die Hintermänner jener Spinnenetze heran, die möglicherweise an der Spitze des die Welt beherrschenden Wirtschaftssystems zu suchen sind?

Baab: Wer den Tiefen Staat für eine anonyme Macht im Nirgendwo hält, ist in meinen Augen ein Dummkopf. Manche Kollegen, die mich kritisieren, glauben wohl tatsächlich, der Tiefe Staat, das sei, wenn sich fünf Leute nachts um drei in der Tiefgarage treffen. Das ist Unfug. Die eigentliche Elite, das sind in Deutschland vielleicht 1.000 bis 2.000 Leute. Minister, Staatssekretäre, Parteichefs, Spitzenbeamte, hohe Militärs, Richter an Bundesgerichten, Wirtschaftsfunktionäre, Manager von Investment-Fonds, Chefredakteure und Spitzenjournalisten. Die fällen die Entscheidungen, die unser aller Leben bestimmen. In Berlin-Mitte haben wir diese Leute auf einem Quadratkilometer. Sie essen in denselben Restaurants, gehören denselben Tennis- oder Golfclubs an, wohnen in denselben Vierteln, kaufen in denselben Läden ein. In seinem Buch „The Deep State“ hat Mike Lofgren beschrieben, wie sich dadurch eine Meinungs- und Entscheidungsblase bildet, in diskreten Clubs, beim Abendessen, über den Gartenzaun hinweg, bei einem Glas Sekt am Wochenende. Man lebt ähnlich, hat eine ähnliche Perspektive auf die Welt und betrachtet sich selbst als Angehörige der Elite, die sich von „denen da draußen“ unterscheidet. Man hält sich für eine In-Group, die etwas zu sagen hat und den anderen da draußen gerne mal den Weg weisen darf. Die Hintermänner – das ist etwas ganz Profanes. Alle diese Leute haben ein gemeinsames Interesse: Dass es so weiterläuft wie bisher. Denn das nützt ihnen, sie leben gut davon. Den anderen erklären sie, dass man ruhig den Riemen etwas enger schnallen kann, damit das Land „kriegstüchtig“ wird.

MM: Herr Baab, wir danke für das Interview.

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